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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lizzie Doron
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Umschlag.
    Meine Mutter legte das Buch auf ihre Knie, wie ein Baby, schlug es auf und strich zärtlich über die Seiten. Sie erzählte mir von der Gebärmutter, den Eileitern, den Eierstöcken, von Fruchtbarkeit und was damit zusammenhing. Alles erklärte sie mir mit großer Ausführlichkeit, und sie erwähnte auch etwas, was Männer und Frauen nachts im Bett taten.
    Ich erschrak. So viel Wissen hatte ich nicht angestrebt. Mir fiel auf, dass sie das Radio ausgemacht und die polnische Zeitung zur Seite gelegt hatte, nur um mir zu antworten, um mit mir zu sprechen. Mir schien, dass meine Frage ihr gefallen hatte, aber die ganze Sache mit der Periode interessierte mich eigentlich gar nicht.
    »Stimmt es, dass mein Großvater und meine Großmutter verbrannt worden sind?«, unterbrach ich sie.
    »Das stimmt.« Auch diese Frage beantwortete sie mir, doch diesmal war ihre Antwort für meinen Geschmack zu kurz. Sie reichte mir das aufgeschlagene Anatomiebuch. »Für den Fall, dass du noch mehr wissen willst.«
    Ich nahm das Buch, schlug es zu und drückte es mit beiden Händen an mich, genau wie sie es getan hatte.
    »Meine Onkel und Tanten sind im Krematorium verbrannt worden?« Ich konnte mich nicht mehr beherrschen, ich wollte mehr erfahren.
    »Auch das stimmt«, antwortete meine Mutter, wieder in aller Kürze.
    »Alle sind in der Shoah gestorben.« Ich versuchte es weiter.
    »Ja«, sagte sie.
    Sie wurde nicht zornig, sie schrie nicht und sie schwieg auch nicht.
    So kannte ich sie nicht, und plötzlich wusste ich nicht mehr, was ich fragen sollte.
    Ich nahm meinen Mut zusammen. »War mein Vater auch in der Shoah?«
    Diesmal schwieg sie.
    »Wo ist er jetzt?« Ich ließ nicht locker.
    »Weit weg«, sagte sie in eisigem Ton.
    Ich sah, wie sie die Lippen zusammenpresste, um mir zu bedeuten, dass das Gespräch zu Ende war. Sie stand auf, ging in die Küche, nahm Tomaten, Gurken und Paprika aus dem Kühlschrank und hackte sie mit einem großen, scharfen Messer klein.
    »In Amerika?« Ich machte noch einen verzweifelten Versuch.
    Schweigen breitete sich in der Wohnung aus. Nur noch das Geräusch, mit dem das Messer auf das Brett schlug, war zu hören. Die Mutter, die ich kannte, war zurückgekehrt.
    Plötzlich platzte Dorit bei uns herein. Sie hatte ihren Bärchenpyjama an, in der Hand hielt sie eine Tüte mit Anziehsachen.
    »Meine Mutter ist im Badezimmer«, schrie sie und rannte zu unserer Toilette.
    Ich wusste, dass meine Mutter jetzt das Messer auf die Anrichte legen würde, ich wusste, dass Dorit nie das Aufschlagen des Messers auf dem Hackbrett hören würde, auch nicht das Schweigen.
    Meine Mutter hörte tatsächlich sofort auf, das Gemüse zu hacken, stellte noch einen Teller und eine Tasse auf den Frühstückstisch und machte sich daran, belegte Brote für das Sommercamp zu schmieren.
    »Wenn sie schon wissen, dass es eine Shoah gegeben hat, dann verstehen sie auch, warum man essen muss«, sagte sie zu sich selbst. Zwischen die Brotscheiben packte sie eine dicke Schicht von Wurst-, Käse-, Tomaten- und Eierscheiben, dazu kleingehackte Paprika.
    »Wenn schon, denn schon, wie man bei euch hier sagt«, sagte sie, als sie uns ihre üppig belegten, in Pergamentpapier gewickelten Brote reichte. Mit einem kleinen Lächeln fügte sie hinzu: »Möget ihr nie Hunger leiden.«
    Erst als Dorit und ich die Wohnung verlassen hatten, atmete ich erleichtert auf.
     
    Jener Tag ist mir tief ins Gedächtnis gegraben. Dorit war sauer, sie war irgendwie anders, benahm sich besonders seltsam. Den ganzen Vormittag lang schwieg sie und zeichnete nur den Ameisenbau auf eine Seite ihres Heftes, zeichnete und radierte und zeichnete, bis sie alle Höhlen und Windungen hinbekommen hatte.
    »Ist was passiert?«, fragte ich.
    Dorit ignorierte meine Frage, sie verlangte von mir, ich solle die Ameisen zählen, und betonte, es sei wichtig zu wissen, wie viele Ameisen in unserem Bau wohnten. »Wie man es auch bei Volkszählungen macht«, sagte sie.
    Irgendetwas muss passiert sein, dachte ich, ich hörte ihr nicht wirklich zu, und erst recht zählte ich keine Ameisen, ich betete nur, dass Bracha auftauchen und mich erretten würde.
     
    »Sag, lebt dein Vater oder ist er tot?«, überfiel mich Bracha, als sie endlich auftauchte.
    »Ich weiß es nicht«, stammelte ich.

    »Ich weiß es wirklich nicht«, stammelte ich auch jetzt, im Auto. Niemals hatte mir irgendjemand gesagt, wohin er gefahren war und warum, und auch über seinen Tod hatte niemand je ein

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