Das Schweigen meiner Mutter
wurde sie zornig. »Geh zu Fejge, Dorit ist dort«, schimpfte sie, schob mich hinaus und knallte mir die Tür vor der Nase zu.
Ich rannte zu Fejge und schlug Dorit vor, zu ihr nach Hause zurückzugehen. Dorit weigerte sich.
Mir ließ die Neugier keine Ruhe. Ich versprach ihr, nie wieder mit Chajale zu spielen. Als wir bei ihr zu Hause ankamen, sah ich meine Mutter auf dem Rand der Badewanne sitzen und mit Itta sprechen. Ich hätte das Gespräch gern belauscht, aber Dorit zog mich auf den Hof, sie wollte Himmel und Hölle spielen und sie ließ mich einfach so anfangen, ohne wie sonst auszulosen, wer begann.
Alon und sein Rasenmäher entfernten sich ans andere Ende des Gartens. Der Lärm wurde leiser. Dorit war wieder verstummt. Stille breitete sich zwischen uns aus.
Meine Mutter hatte gesagt, sie sollten schweigen, und sie schwiegen. Das war es, was Dorit gemeint hatte.
Ich lenkte meine Gedanken in die Vergangenheit, versuchte, mich in sie zu versenken, von allen Erinnerungen kam der Geschmack von rosafarbenem Bubblegum zu mir zurück.
»Dr. Wollmann, Sie wissen, dass sie gesund sein muss.« Die Stimme meiner Mutter kratzte sich in mich.
Dr. Wollmann schwieg, ich musste mich ausziehen.
Er untersuchte mich, maß meinen Puls und Blutdruck, kontrollierte meine Augen, meine Ohren, meinen Hals, ließ mich mit geschlossenen Augen auf einer Linie geradeaus gehen, klopfte mir auf die Rippen, betastete meinen Bauch.
»Sie ist gesund«, diagnostizierte er.
Meine Mutter atmete erleichtert auf. Ich zog mich schnell wieder an.
Bevor wir aus dem Haus gegangen waren, hatte meine Mutter mir einen Bubblegum gegeben.
Jetzt spuckte ich ihn ihr vor die Füße. Dr. Wollmann hob ihn auf und legte ihn in den Aschenbecher, nahm meine Patientenkarte vom Schreibtisch und bot meiner Mutter eine Tasse Tee an.
Sie blieben sitzen, schauten einander an und schwiegen. Ich knallte die Tür hinter mir zu und lief davon.
Alon ging wieder an uns vorbei. Perpetuum mobile, nannte ich ihn insgeheim. Er kam und ging, ging und kam, und derRasenmäher, den er vor sich herschob, ratterte. Dorit senkte den Blick und schwieg.
Aksam ging zu Alon und flüsterte ihm etwas zu. Alon, mit dem Gesicht eines beleidigten Kindes, brachte den Rasenmäher zum Schweigen. Vornübergebeugt und langsam stakste er auf seinen dünnen Beinen davon und verschwand in einem der Zimmer. Aksam ging wieder in die Küche.
»Nach einigen Wochen kehrte meine Mutter ins Leben zurück«, fuhr Dorit jetzt fort zu erzählen. »Erst da wagte ich, meinen Vater zu fragen, was ihr passiert war. Er sagte mir, eines Tages würde Fejge sie noch umbringen. Das war alles, was er gesagt hat, und mir tat es leid, dass ich kein Waisenkind war wie du.«
Ich biss mir auf die Lippe.
Dorit stöberte weiter in ihren Erinnerungen. »Du hattest keine Verwandten, die dir das Leben schwer machten. Und deine Mutter«, ihre Stimme wurde weich, »war die Einzige, die genau wusste, was bei mir zu Hause los war, aber sie hat nie etwas gefragt, sie hat mich nie belastet und mir nie wehgetan. Bei ihr fühlte ich mich am sichersten. Vielleicht war ich deshalb auch so gern mit dir zusammen.« Sie lächelte mich an. Ich war so verblüfft, dass ich nur hinauf zum Himmel schauen und schweigen konnte.
»Schau«, sagte sie und schlug ein anderes Fotoalbum auf, »man sieht auf den Fotos, dass wir beide ein Herz und eine Seele waren, bei allen Zeremonien, bei allen Festen stehen wir nebeneinander. Ich war immer an deiner Seite. Wie Cilli und Gilli bei Bialik, wie Schwestern.«
Sie legte mir sanft die Hand auf die Schulter und ein kleines, trauriges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
Als sie lächelte, sah ich wieder den schiefen Zahn und ihren rechten Nasenflügel, der leicht zuckte, wenn sie sprach. Ein warmes Gefühl stieg in mir auf.
»Wie Cilli und Gilli, wie Schwestern, und nichts wussten wir voneinander.« Ich konnte den Gedanken nicht mehr zurückhalten und sprach ihn aus. »Weißt du etwas über meinen Vater? Vielleicht hat dir Fejge ja etwas erzählt?«
»Fejge hat geredet wie ein Tausendfüßler nach einem Schlaganfall«, antwortete Dorit. »Ich habe bei ihren Geschichten nie verstanden, wo sie anfingen oder aufhörten und über wen oder was sie gerade sprach. Es fällt mir schwer, dir das zu erzählen, meine Geschichten schmerzen, hat sie immer voller Selbstmitleid gesagt. Und meine Mutter, wie du weißt, hat auf jede Frage nur ihr
hejbt sich on a majsse
parat gehabt. Und mich
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