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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lizzie Doron
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hat sie immer mit einem einzigen Satz plattgemacht: Ich habe die Lager überlebt, und jetzt willst du mich umbringen?«
    »Gut, dass wir Bracha hatten, zumindest sie hat etwas erzählt.« Mit diesen Worten wollte ich das Thema abschließen. Ich war der Erinnerungen und des Redens schon müde, ich dachte, unsere Toten hätten für diesmal ausgedient.
    »Der deutsche Liebhaber ist in der Tat etwas, was ich von Bracha erfahren habe«, fuhr Dorit fort. »Aber was dich betrifft, so habe ich jahrelang nichts gewusst. Jahrelang wusste ich nur, dass dein Vater krank war. Krank   … krank   … krank   …. Bis Fejge eines Tages sagte, er sei tot, und mich schwören ließ, es dir nicht zu sagen, weil es verboten sei, über deinen Vater zu sprechen.« Dorit lächelte leicht. »Ehrlich gesagt, ich war nicht wie du. Als man mir sagte, er sei tot, hielt ich den Mund, ich stellte keine Fragen, und außerdem hast du mir nicht leid getan. Schon damals dachte ich, es sei nicht die schlechtesteOption, ein Waisenkind zu sein, relativ gesehen. Du weißt ja, bei uns war der Tod nicht das Schlimmste.«
    »Es war nicht leicht mit solchen Eltern«, musste ich ihr recht geben.
    Dorit seufzte. »Ich weiß nicht, wie es bei dir ist   …«, sie schaute mich an, »aber ich habe sie gehasst, meine Mutter, meinen Vater, Fejge, Wladek   – alle.« Sie überließ sich dem Zorn, der sie mitriss und mich auf meinem Stuhl festnagelte.

    »Hoffentlich stirbst du!«, hatte ich laut geschrien.
    »Ja, wirklich, hoffentlich!« Meine Mutter lachte. »Solange man lebt, gibt es die Hoffnung, zu sterben.«
    »Bete für mich«, schlug sie mir ein andermal vor, »vielleicht erhört der da oben ja wenigstens dich.« Sie trieb mich in den Wahnsinn.

    »Tatsächlich, ich hatte Glück«, rutschte es mir heraus. »Ich musste nur meine Mutter hassen.«
    Dorit und ich schwiegen lange. Wie bei einer Gedenkzeremonie.
     
    Aksam kam zurück und stellte die Akubim auf den Tisch.
    »Warum so trübsinnig?«, fragte er.
    »Jüdisch-polnische Nostalgie«, sagte Dorit lakonisch.
    Er strich ihr sanft übers Haar. Sie entzog sich mit einer leichten Bewegung seiner streichelnden Hand, er verstanddie Bewegung, legte seine Hand nun nachsichtig und zärtlich auf ihre Schulter. Sie drehte den Kopf weg von ihm, ihr Blick schweifte in die Ferne.
    »Willst du noch von dem Taboulé?«, fragte Dorit. »Und du hast auch die Krautwickel noch nicht probiert.« Sie bemühte sich offensichtlich, mich von dem, was ich sah, abzulenken. Ich machte mich über die Akubim her. Schließlich kannte ich mich seit meiner Kindheit mit den Mahlzeiten bei Dorit aus, ich füllte meinen Mund mit Essen und schwieg.
    Aber ich schaute auf Aksams Hand, die sanft auf ihrer Schulter lag. Ich erinnerte mich an die feste Hand Dr.   Wollmanns, wie sie über den Rücken meiner Mutter gestrichen und lange auf ihrer Hüfte liegen geblieben war. Wenn er sie angeschaut hatte, wurden ihre Augen dunkler und glänzten. Ich erinnerte mich, dass auch meine Mutter sich seiner Berührung, wie Dorit, mit einer leichten Bewegung entzogen hatte.
    Ich vertiefte mich ins Essen, Dorit versank in Schweigen.
    Ich war wieder in jener alten Geschichte, in jenen bedrückenden Momenten des Schweigens, des Verbergens. Da waren sie wieder, lebten zwischen uns auf, wie damals.
    Ich wusste, dass es auch heute, auch hier, ein geheimes Leben gab, Geheimnisse blühten im Emek.
    Das, was gewesen war, war das, was uns verband, dachte ich. Die Eltern, die Kindheit mit dem Stacheldraht um die Seelen, ein Stacheldraht zwischen uns und der Welt, zwischen uns und unseren Eltern. Was uns verband, hatte nichts mit Gemeinsamkeiten der Wesensart, der Interessen oder der Lebensweise zu tun.
    Ich spürte, dass das Zusammensein uns bedrückte, die Erinnerungen uns belasteten. Ich wurde ungeduldig.
    Meine alten Reflexe kehrten zurück. Ich wollte nur noch aufstehen und verschwinden, wie damals, als ich noch ein Kind gewesen war.
     
    »Komm, lass uns ein bisschen spazieren gehen«, schlug Dorit plötzlich vor.
    Mein Gefühl wurde bestätigt. Auch für sie war mein Besuch bedrückend. Wie damals bei den Schabbatessen wollte Dorit auch jetzt fliehen, ich wusste nur nicht, vor wem   – vor Alon, vor Aksam oder vielleicht vor mir.
    Wir gingen durch das Tor und stiegen den nahen Hügel hinauf. Nach einigen Minuten stellte ich überrascht fest, dass wir nicht allein waren. Anfangs ging Aksam hinter uns, als wollte er uns vor jedweder Gefahr schützen. Doch

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