Das Schweigen
geworden, dafür rieselte jetzt wieder,
ganz leicht, aber stetig, Sand durch seinen Körper. Arvi
schaltete den Fernseher aus. Marjatta griff nach der ge-
leerten Kaffeekanne.
»Lass mich das machen«, sagte Korvensuo. Er hatte
sich schnell aufgerichtet und rang mit ein wenig Übel-
keit, während er ins Haus ging. In der Küche schaltete er
die Maschine ein und sah, wie der Kaffee in die Kanne
tropfte. Später musste er nachdenken. Wenn die Gäste
gegangen waren. Wenn Marjatta und die Kinder schlie-
fen. In aller Ruhe würde er über ein paar Dinge nach-
denken.
Durch die Fenster sah er Arvi den Abhang hinunter-
gehen. Wahrscheinlich wollte er noch in die Sauna.
Johanna und Marjatta unterhielten sich angeregt und
entspannt. Sicher nicht mehr über das, was sie in den
Nachrichten gesehen hatten. Pekka saß ein wenig zu-
rückgelehnt und hielt den Kopf in den Himmel. Korven-
suo nahm die Kanne und trat ins Freie.
»Sonst noch was? Wir haben auch kühle Getränke.
Limonade?« fragte er, als er am Tisch stand.
»Gerne«, sagte Pekka.
Er ging zurück ins Haus, in die Küche und nahm eine
Flasche Limonade aus dem Kühlschrank. Sie ruhte kalt
in seiner Hand, und in seinem Kopf platzte eine Ader.
Zumindest hatte er das Gefühl. Ein heißes Gefühl brei-
tete sich aus, von der Stirn über die Wangen in den
Körper.
Er ging wieder nach draußen und reichte Pekka die
Flasche. Pekka bedankte sich. Korvensuo nickte. Er hatte
auch Durst. Er ging wieder ins Haus und nahm sich eine
Limonade aus dem Kühlschrank. Er trank gierig. Alles in
einem Zug, und dann spürte er, dass er weit ausholte
und die Flasche mit aller Kraft, die er hatte, gegen das
Spülbecken schlug. Die Flasche explodierte in seiner
Hand. Durch das Fenster sah er, dass draußen alle auf-
sprangen.
»Nichts passiert! Ich kehre das auf. Mir ist eine Fla-
sche runtergefallen«, rief er.
Marjatta lief auf das Haus zu.
»Nichts passiert«, sagte er, als sie in der Tür stand. Er
kehrte ihr den Rücken zu und tastete im Schrank nach
Besen und Schaufel. »Ich kehre das schnell auf. Nichts
passiert.«
»Sei vorsichtig mit den Scherben«, sagte Marjatta.
Korvensuo nickte. »Kein Problem«, sagte er.
Die meisten Scherben lagen im Spülbecken. Einige
hingen an seinem T-Shirt und seinen Armen. Am
Finger floss ein wenig Blut, aber es war nur ein Kratzer.
Er stillte die Wunde mit einem Taschentuch und füllte
die Scherben in eine Mülltüte.
Er sah durch das Fenster. Draußen rannte Arvi von
der Sauna zum See hinunter und sprang zur
Belustigung der Kinder splitternackt ins Wasser.
3
Der See lag ruhig in taghellem Licht, obwohl es auf 23
Uhr zuging.
Die nachtlosen Nächte, hatte Sanna immer gesagt
und dass diese langen Nächte nirgends so schön seien
wie in Finnland, und als sie damals nach einem der
Mittsommerfeste durch Turku gestolpert waren, war sie
restlos betrunken in den Fluss gefallen. Kimmo war ihr
in Panik hinterher gesprungen, und Sanna hatte gelacht
über seine unbeholfenen Rettungsversuche.
»Nichts!« rief einer der Taucher. »Wir finden nichts.«
»Weiter!« rief Sundström, der schwungvoll wippend
neben dem reglosen Petri Grönholm am Ufer stand.
Sundström wendete sich um und kam auf Kimmo zu.
»Wir finden sie nicht«, sagte er. »Ich glaube, dass wir
die Gute in diesem See nicht finden werden.«
Kimmo nickte. Dann würden wohl an diesem Punkt
die merkwürdigen Parallelen enden. Als am Mittag der
Fund des Fahrrads gemeldet wurde, hatte zunächst
niemand den Zusammenhang erahnen können. Eine
Streife hatte sich die Sache näher angesehen und Be-
scheid gegeben, dass das Fahrrad neben einem Kreuz
liege, das an ein 1974 getötetes Mädchen erinnere. Und
dass sie Spuren von Blut gefunden hätten. Und eine
Sporttasche mit Kleidung, die vermutlich einem weib-
lichen Teenager gehörte.
Während Niemi mit seinem Team zum Fundort ge-
fahren war, hatte Kimmo sich auf die Suche nach den
Akten begeben. Er hatte sofort an den Tag von Ketolas
Verabschiedung gedacht, an den Fall, den Ketola geschil-
dert hatte, an das Modell, das sie, im Schneeregen ste-
hend, in Ketolas Wagen verstaut hatten.
Er war mit Päivi Holmquist, der Leiterin des Archivs,
ein zweites Mal in den großen Kellerraum gegangen, in
dem lange Vergessenes lagerte. Päivi hatte zielstrebig die richtigen Ordner herausgegriffen und, vermutlich, weil
sie sein Staunen wahrgenommen hatte, betont, dass sie
sehr wohl wisse,
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