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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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nickte.
    Nickte vor sich hin und betrachtete den Bildschirm. Er
    führte die Tasse zum Mund.
    »Wisst ihr, was ich meine?« fragte Marjatta.
    »Natürlich«, sagte Johanna.
    »Schweine gibt es überall«, sagte Arvi, ohne den Kopf
    vom Bildschirm abzuwenden.
    »Abseits«, sagte Pekka.
    Korvensuo spürte den Blick seiner Frau auf sich
    ruhen. »Sicher«, sagte er. »Sicher.« Er führte wieder die
    Tasse zum Mund. Vor seinen Augen flimmerte eine
    Zeitlupe. Ein Foul.
    »In den Nachrichten haben sie gesagt, dass genau an
    der Stelle vor dreißig Jahren schon mal ein Mädchen
    umgebracht wurde«, sagte Johanna.
    »Vor dreiunddreißig Jahren, haben sie gesagt«, sagte
    Pekka.
    »An genau derselben Stelle. Neben dem Fahrrad
    stand ja das Kreuz, das noch an das tote Mädchen er-
    innert«, sagte Johanna.
    »Schon komisch«, sagte Arvi. »Der Täter von damals
    muss doch im Rentenalter sein.«
    »Kommt drauf an«, sagte Pekka.
    »Das Kreuz hat bestimmt die Familie des Mädchens
    dort hingestellt«, sagte Marjatta. »Und jetzt ist der Ort
    wieder ... entweiht worden.«
    »Na ja, entweiht...«, sagte Arvi.
    »Die Familie, sagst du?« sagte Korvensuo.
    »Ja. Das vermute ich jedenfalls, es wurde ja nicht
    genau gesagt, aber es wurde erwähnt, dass das Mäd-
    chen nur wenige Minuten von dieser Stelle entfernt
    gewohnt hat. Das Mädchen, das damals umgebracht
    wurde.«
    »Hatten sie erwähnt, wie alt sie war?« fragte Korven-
    suo.
    »Das Mädchen von damals?«
    »Ja.«
    »Dreizehn«, sagte Pekka.
    Korvensuo nickte. Nickte vor sich hin.
    »Ein Gutes hat es. Vielleicht erwischen sie den Mann
    jetzt. Vielleicht hat er dieses Mal eben etwas falsch ge-
    macht«, sagte Arvi.
    »Das kann doch nicht derselbe gewesen sein. Nach
    dreiunddreißig Jahren«, sagte Pekka.
    »Wer denn sonst?« fragte Arvi.
    Korvensuo griff nach der Tasse. Das Flimmern vor
    seinen Augen nahm zu. Er hörte die Kinder lachen. Er
    fühlte sich merkwürdig leicht. Das Spiel im Fernseher
    nahm kein Ende. Marjatta schenkte nach und verteilte
    Schokoladenkekse.
    »Sag mal ...«, begann Korvensuo. Sein Blick traf Mar-
    jattas Augen.
    »Was sagst du?« fragte Marjatta.
    »Ach nichts.« Er wusste nicht mehr, was er hatte sagen
    wollen. Vermutlich hatte er vorgehabt, das Thema zu
    wechseln. Wieder über finnischen Fußball zu sprechen,
    aber die Worte waren ihm nicht über die Lippen
    gegangen. Er fühlte sich leicht, ganz leicht und spürte
    ein flaues Gefühl im Magen. Marjattas Blick ruhte auf
    ihm, und Arvi und Pekka sprachen über das Mädchen,
    das noch nicht gefunden worden war.
    »Sie werden es in demselben See finden wie das Mäd-
    chen von damals«, sagte Arvi gerade.
    »Vermutlich«, sagte Pekka.
    »Wobei es schon komisch ist. Hab ich noch nie ge-
    hört, dass sich so was nach dreißig Jahren einfach wie-
    derholt«, sagte Arvi.
    Pekka murmelte etwas, das Korvensuo nicht ver-
    stand. Auf dem Bildschirm bedrängten Spieler den
    Schiedsrichter.
    »Hat der jetzt Elfmeter gepfiffen oder was?« fragte
    Arvi.
    »Anscheinend«, sagte Pekka.
    Beide beugten sich vor, um die Einschätzung des
    Kommentators zu hören. Korvensuo betrachtete den
    Bildschirm. Die Ausführung des Strafstoßes. Der Spie-
    ler verlud den Torhüter, ein flacher Schuss in die linke
    untere Ecke. Spieler jubelten, und Arvi sagte: »So laufen
    diese Scheißspiele doch immer. Drei Minuten vor
    Schluss.«
    »Wie steht’s?« Das war seine eigene Stimme. »Wie
    steht es denn?«
    »Eins zu eins. Du bist ja ganz bei der Sache«, sagte Arvi.
    »Das geht doch«, sagte Korvensuo.
    »Was heißt, das geht doch? Das reicht nicht, das
    reicht dann im Ernstfall wieder mal für Platz drei oder
    vier in der Gruppe.«
    Unten am Steg lachten die Kinder. Rechts von ihm
    schienen sich Marjatta und Johanna inzwischen auch
    über das getötete Mädchen zu unterhalten. Ja, sie spra-
    chen über die Angst, die ihnen das machte. Korvensuo
    führte die Tasse zum Mund und biss in einen Schokola-
    denkeks. Auf dem Bildschirm wurde ein Spieler inter-
    viewt.
    »Sag mal ...«, begann Korvensuo wieder.
    »Hm?« fragte Arvi.
    »Wie viele Spiele sind denn noch?«
    »Was meinst du?«
    »Wie viele Spieltage in der Qualifikation? Bei der A-
    Mannschaft.«
    »Weiß ich gar nicht. Drei?«
    »Fünf«, sagte Pekka.
    »Aber es wird sowieso nichts werden«, meinte Arvi.
    Korvensuo nickte vor sich hin und konzentrierte sich
    auf das Lachen der Kinder, die unten am Steg ein
    Kartenspiel spielten. Das Flimmern vor seinen Augen
    war schwächer

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