Das Schweigen
ferngeblieben.
Daran, an sein ungeheuerliches Versagen, dachte
Ketola, während Tapani, jetzt wieder ganz ernsthaft,
von einer Villa in Spanien erzählte, die er gekauft habe,
um dort die kommenden Jahre zu verbringen.
Er wusste inzwischen, dass Tapani seinen Drogen-
konsum nicht eingestellt, sondern im Gegenteil massiv
intensiviert hatte. Er hatte begonnen, in Joensuu Ma-
schinenbau zu studieren, obwohl er mit Maschinenbau
nicht das Geringste am Hut gehabt hatte, und hatte wäh-
renddessen Kokain und Synthetik-Drogen wild durch-
einander genommen.
Ketola hatte sich in der Zwischenzeit von Oona, sei-
ner Frau und Tapanis Mutter, getrennt, weil er es mit ihr, aus Gründen, die er heute nicht mehr hätte benennen
können, einfach nicht mehr ausgehalten hatte, und für
Tapani hatte sich Ketola in diesen Jahren herzlich wenig
interessiert. Es war ihm zum Beispiel nie in den Sinn
gekommen, ihn zu fragen, warum zum Teufel er ausge-
rechnet Maschinenbau studierte.
Joensuu lag Hunderte von Kilometern weit weg, Ke-
tola hoffte, dass es seinem Sohn gut ging, und verdrängte
den Gedanken an andere Szenarien. Vor etwa zwei Jah-
ren, gerade als sein junger Kollege Kimmo Joentaa seine
Frau verloren hatte, war auch Tapani zusammengebro-
chen. Er hatte eines Abends in der Tür gestanden, den
lauen Wind gelobt und seinen Vater mit einem Blick an-
gesehen, der sich in Ketolas Eingeweide gebohrt hatte.
Wenig später hatte sich eine Frau einer Behörde bei
ihm gemeldet, hatte in bürokratischen Wendungen zu
verstehen gegeben, dass Tapani Ketola am Flughafen in
Helsinki auf dem Rollfeld aufgegriffen worden und für
zwei Wochen in eine Psychiatrie verbracht worden sei.
Ob sich Ketola oder die in Tampere wohnhafte Mutter,
Oona Ketola, geborene Väisänen, nicht ein wenig um
ihren Sohn kümmern könnten.
Tapani hatte anschließend eine Weile bei Ketola ge-
wohnt, dann hatten sie zu dritt, gemeinsam mit Oona,
die für einige Tage angereist war, eine Wohnung in
einem Hochhaus am Rand von Turku für ihn eingerich-
tet. Das war eine schöne Zeit gewesen, die schnell ver-
gangen und hinfällig war, ohne dass Ketola rückblickend
wusste, warum eigentlich.
Jedenfalls hatte er Oona seitdem nicht wiedergesehen
und auch nichts von ihr gehört, und Tapani war Monat
für Monat weiter in eine fremde Welt hinab geglitten,
zu der Ketola längst keinen Zugang mehr hatte und die
seiner Einschätzung nach weder mit Drogenkonsum
noch auf irgendeine andere Weise plausibel zu erklären
war.
Sein Sohn war einfach zu einem Rätsel geworden, und
dieses Rätsel saß jetzt, nach längerer Zeit mal wieder,
auf seinem Sofa, und Ketola freute sich darüber und
fühlte sich gleichzeitig, wie jedes Mal, vollkommen ver-
zweifelt.
»Hast du was zu essen?« fragte Tapani gerade.
»Klar.« Ketola sprang auf, erleichtert, etwas tun zu
können. Er stand in der Küche und hörte neue
Stimmen, Tapani hatte den Fernseher eingeschaltet.
»Scheiß-Fernsehmafia«, murmelte Tapani, als Ketola
zurückkam. Tapani begann sofort, die Brote in sich hi-
neinzustopfen, und erzählte wieder von dem Haus in
Spanien, das er gekauft habe. »Da braucht man nichts,
da brauchst du zum Beispiel keine Handtücher mehr,
weil es so warm ist«, sagte er, und Ketola betrachtete
den Fernseher und sah ein Fahrrad in einem Feld liegen
und ein Kreuz, das neben dem Fahrrad stand.
»Verstehst du, da haben sie alles ...«, sagte Tapani,
und Ketola fühlte, wie der Boden unter ihm nachgab, er
wollte aufstehen, aber er sackte nur tiefer in den Sessel
und starrte den Fernseher an.
Tapani folgte seinem Blick. »Ein Fahrrad ... ja, genau,
ich muss mir unbedingt auch ein neues Fahrrad kaufen«,
sagte er, und im Fernseher wurde das Gesicht von Pia
Lehtinen eingeblendet, das Foto aus seinen Akten, er er-
innerte sich genau an dieses Foto. Ein ähnlich gelagerter
Fall, hieß es. Ein Zeitungsartikel von damals wurde ein-
geblendet, im Zentrum eine Zeichnung des Kleinwa-
gens, des roten Kleinwagens, den sie nie gefunden hatten.
Dann ein Interview mit Nurmela auf der Treppe, die zum
Eingang des Polizeigebäudes führte. Er sagte, es gebe noch keine Erkenntnisse, aber sie würden es sehr ernst nehmen,
immer in der Hoffnung, dass sich das Ganze als harmloser
erweise, als zunächst angenommen. Auf die Frage,
welchen Zusammenhang zu dem lange zurückliegenden
Fall er sich vorstellen könne, sagte Nurmela, dass es zu
früh sei, darüber
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