Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
Vom Netzwerk:
in seinem
    Rücken sagen.
    Er drehte sich um und sah sie mit zersausten Haaren
    und müden Augen auf der Schwelle stehen. Er
    schüttelte den Kopf.
    »Ein bisschen ... Kopfdruck«, sagte er.
    »Gießt du mir auch ein Glas ein?« fragte Marjatta.
    »Sicher.«
    Er nahm ein Glas aus dem Schrank und bemühte
    sich, kontrolliert einzuschenken, aber seine Hände zit-
    terten immer stärker.
    »Du bist betrunken, mein Schatz«, sagte Marjatta. Er
    sah sie lächeln und nickte.
    »Ja, wohl wahr«, sagte er.
    »Sehr schlimm?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein ... du ... dich wieder
    hinlegen.«
    »Also sehr schlimm«, sagte Marjatta.
    »Bitte, leg dich wieder ...«Er ließ sich auf einen der
    Holzstühle fallen und sah verschwommen, dass Mar-
    jatta an den Tisch herantrat, einen Stuhl heranzog und
    sich neben ihn setzte. Er spürte ihre Hand auf seiner
    und starrte auf die Tischplatte.
    »Aber du hast... keine Sorgen ...?«
    Auf der Tischplatte waren Buchstaben eingeritzt.
    Worte. Das war ihm noch nie aufgefallen. Laura liebt
    Saku, stand da, und ein Strichmännchen daneben
    lachte sich schlapp. Vermutlich Akus Werk.
    »Hast du ...«
    »Timo, ich habe dich etwas gefragt ...«
    »Hast du je diesen Satz da auf dem Tisch gesehen?«
    fragte er.
    Marjatta senkte den Blick. »Ja, das hat Aku geschrie-
    ben. Er mag es eben nicht, wenn Laura andere Männer
    anschaut.«
    »Ah so ...«, sagte er und sah Marjatta wieder lächeln.
    »Es lief doch alles gut, oder?« fragte sie.
    »Hm?»
    »Die Wohnungen in Helsinki, du hast doch gesagt,
    dass du sie los bekommen hast.«
    »Ja ... ja, habe ich. Das ist ... wunderbar, besser ...
    hätte die Woche nicht enden können.«
    »Dann ist also alles in Ordnung?«
    »Ja, natürlich. Ich habe wohl ... ein wenig zu ausge-
    lassen gefeiert. Wirklich halb so wild ... ich merke
    schon, dass es besser wird.«
    Er spürte ihre Hand auf seiner.
    »Ich vertrage einfach nichts, das ist alles«, sagte er.
    »Leg dich wieder hin, ich komme auch bald.«
    Marjatta streichelte eine Weile seine Hand, dann,
    endlich, stand sie auf und ging.
    »Es wird schon besser«, sagte er noch einmal.
    »Dann komm bald nach. Wenn ich noch wach bin,
    kann ich deinen Kopf massieren.«
    Er nickte und hörte ihre hallenden, leiser werdenden
    Schritte auf dem Holzboden.
    Es wurde tatsächlich ein wenig besser. Das Schwin-
    delgefühl hatte nachgelassen. Hinter seiner Stirn pochte
    der Schmerz, aber ein wenig begann der Nebel sich zu
    lichten. Bald würde er die Kraft haben, nachzudenken.
    In aller Ruhe.
    In aller Ruhe.
    Er betrachtete den Satz, den Aku in das Holz geritzt
    hatte. Das Strichmännchen sah lustig aus. Aku und
    Laura schliefen im Zelt. Seine Kinder schliefen draußen
    im Zelt. Aku und Laura, Aku acht und Laura dreizehn
    Jahre alt. Auch Marjatta schlief gerade wieder ein, viel-
    leicht jetzt, in dieser Sekunde oder in zwei, drei Minuten, Marjatta schlief meistens schnell ein, kurz nachdem sie
    sich hingelegt hatte, schlief sie schon, und er lag neben
    ihr und hörte sie leise atmen.
    Die Kopfschmerzen hatten nachgelassen. So war es
    immer gewesen, die Tabletten wirkten in ausreichender
    Dosierung wie ein Schwamm, der alles in sich aufsog,
    und zurück blieb ein wohliges Gefühl der Benommen-
    heit an der Stelle, an der zuvor der Schmerz gesessen
    hatte.
    Die anderen schliefen, und er würde bald nachdenken
    können. Zusammenhänge herstellen.
    Sicher stand er unter einer Art Schock, es konnte nicht
    anders sein. Es war ganz normal, dass er unter Schock
    stand. Das war nichts, was ihn beunruhigen musste.
    Er erinnerte sich an die perfekte Sonne hinter den
    Scheiben des Hauses, das er am Nachmittag einer Inte-
    ressentin gezeigt hatte. Einer sympathischen Frau, die
    ihm freundlich begegnet war, ein nettes Gespräch hatte
    man geführt unter Gleichgestellten, unter Menschen,
    die miteinander sprachen und einander verstanden. So
    funktionierte das. Am späten Nachmittag war das ge-
    wesen. Die Frau hatte sich freundlich verabschiedet und
    gesagt, dass ihr das Haus gefallen habe, und er war an
    den See gefahren, ins Wasser gesprungen und weit raus
    geschwommen, so weit seine Kraft reichte, und er hatte
    viel Kraft in sich gespürt.
    Er bezwang den Schmerz hinter seinen Augen, indem
    er den Atem anhielt, indem er sich ausschließlich darauf
    konzentrierte, nicht zu atmen.
    Der Name des anderen war Pärssinen gewesen.
    Pärssinen. Ein Name. Er kannte den Vornamen nicht.
    Er hatte ihn nie gekannt.
    Pärssinen.
    Er war später

Weitere Kostenlose Bücher