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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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immer mal wieder einem Menschen
    dieses Namens begegnet, erst vor einigen Monaten hatte
    er ein Objekt eines Pärssinen vermittelt, ein schmuckes
    Haus in Vantaa, ganz nah am Flughafen Helsinki gele-
    gen und doch ohne jeden Fluglärm. Ein wunderbares
    Haus, und der Name Pärssinen war nicht mehr als eine
    Randnotiz in seinen Unterlagen gewesen.
    Marjatta, Laura und Aku. Sie waren ihm nah, er
    würde nur Sekunden brauchen, um bei ihnen zu sein,
    und das war gut zu wissen, das war ein Wissen, das ihn
    ein wenig beruhigte.
    Der Name war Pärssinen gewesen.
    Er konnte sich an das Aussehen des Mannes nicht er-
    innern, er hatte in den Tagen und Wochen danach viel
    Zeit damit verbracht, Pärssinen in einer Weise aus
    seiner Erinnerung zu entfernen, die keine Spuren
    hinterließ. Es war ihm gleich zu Beginn klar gewesen,
    dass Pärssinen der Schlüssel war, denn sobald dieser
    Mann nie existiert hatte, war auch alles andere hinfällig.
    Das hatte funktioniert. Es hatte funktioniert, weil er es
    so gewollt hatte. Weil er begriffen hatte, dass es eine
    andere Möglichkeit nicht gab.
    Nichts hatte Bestand, wenn man die Verbindung ab-
    brach. Wenn man sich entschloss, wenn man sich wirk-
    lich entschloss, blieb nichts übrig, das wusste er seit-
    dem, das wusste er besser als jeder andere.
    Es hatte funktioniert, und jetzt war es vorbei. So ein-
    fach war das. So einfach ließ es sich auf den Punkt brin-
    gen, und er empfand für einen Moment eine Art Zu-
    friedenheit, weil es ihm endlich gelungen war, weil er
    endlich allein war und nachdenken konnte.
    Er schloss die Augen und spürte, wie Pärssinen in
    seinem Hirn wieder zum Leben erwachte. Alles, was
    Pärssinen gewesen war. Er ließ es geschehen, denn es
    war unvermeidbar. Er lehnte sich zurück und ließ es
    geschehen.
    Pärssinen. Ein untersetzter, kräftiger Mann mit einem
    kugelrunden Gesicht und schütterem Haar. Er hatte
    schon einige Monate in dem grauen Haus am Rand der
    Stadt gelebt, als Pärssinen als Hausmeister angestellt
    wurde und die Wohnung im Erdgeschoss bezog.
    Einige Zeit hatten sie sich flüchtig gegrüßt, der Som-
    mer hatte begonnen und die Semesterferien. Er hatte
    mit Büchern auf seinem Balkon gesessen, ein wenig ge-
    lesen und ein wenig den Kindern beim Spielen zuge-
    sehen, und Pärssinen hatte Hecken gestutzt und die
    Rasenflächen der Wohnanlage gemäht.
    Dann, an einem dieser Tage, hatte Pärssinen ihn an-
    gesprochen. Hatte gesagt, dass er ihn beobachtet habe
    und dass er einen Blick besitze für gewisse Dinge, die an-
    deren verborgen blieben. Er erinnerte sich. Ganz genau
    erinnerte er sich. Jetzt kehrte also alles zurück. Er
    spürte, wie es in ihn eindrang. Nicht nur die Erinnerung
    an dieses Gespräch, sondern auch die Erinnerung an das,
    was er empfunden hatte. Pärssinen hatte nichts weiter
    sagen müssen, denn er hatte sofort begriffen. Er hatte in
    Pärssinens Augen sich selbst gespiegelt gesehen, hatte
    gesehen, was niemand wusste, was niemand wissen
    konnte, Pärssinen nicht und am allerwenigsten er selbst,
    und er hatte begriffen, dass Pärssinen es einfach, gegen
    jede Logik, gesehen hatte, und er hatte den Augenblick
    des Begreifens und den Augenblick danach als unge-
    heure, zutiefst beängstigende Erleichterung empfun-
    den.
    Pärssinen hatte ruhig, in gewisser Weise sogar
    freundlich gelächelt und ihn zu sich hereingebeten.
    So hatte es angefangen, und jetzt kehrte also die Er-
    innerung zurück, jetzt kehrte alles zurück, er betrachtete den Satz, den sein Sohn ins Holz eines Tisches geritzt hatte, und sah wieder den flirrenden Projektor, die
    zugezogenen Jalousien, die Sonnenflecken am Boden,
    die Filme ... Pärssinen, der Filmrollen aus einem Regal
    zog ... dieser eine Film, den er immer wieder hatte
    sehen wollen, seine Lieblingsszene in diesem ... Film,
    seine Hand an seinen Schenkeln, und Pärssinen lachte,
    als er es sah, und dann hatte er mitgelacht und sich zum
    ersten Mal in seinem Leben frei gefühlt, vollkommen
    frei, und Pärssinen hatte zurückgespult, bis das Mädchen
    wieder auf der Bettkante gesessen hatte, den Kopf ge-
    senkt, die Hand an einem fetten Penis auf und ab bewe-
    gend, und dann hatte das Mädchen den Kopf gehoben
    und in die Kamera geblickt, und er hatte ein wunder-
    schönes fremdes Gesicht gesehen, hatte sich ein wenig
    aufgerichtet, die Hose ganz geöffnet, leise aufgeschrien
    und auf Pärssinens Fußboden ejakuliert.
    Pärssinen hatte gelacht.
    Er hörte sich stöhnen. Er schwitzte. Ihm

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