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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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war
    schwindlig.
    »Papa, mir ist schlecht von dem Eis«, sagte Aku.
    Er öffnete die Augen. Aku stand im Türrahmen.
    »Ich...«
    Er sah Aku in der Tür stehen. Er wollte aufstehen und
    auf ihn zugehen, aber es ging nicht. Er spürte, dass
    er seinen Sohn anstarrte, er sah Schmerz und etwas wie Angst in seinem Gesicht, er wollte etwas sagen, er
    wollte ...
    »Ist dir auch schlecht von dem Eis?« fragte Aku.

9. JUNI

    I

    Am Morgen fuhr Kimmo Joentaa zu Ketola. Er hatte
    überlegt, sein Kommen anzukündigen, aber dann war
    er einfach losgefahren. Er war noch nie bei Ketola
    gewesen, aber die Adresse kannte er. Oravankatu 18.
    Das Haus lag auf einer Anhöhe, in einer gepflegten,
    ruhigen Wohngegend am anderen Ende von Turku. Der
    Weg, der zum Haus führte, war sorgfältig geharkt, rechts
    und links blühten Blumen. Kimmo war überrascht, ohne
    zu wissen, was er eigentlich erwartet hatte.
    Es dauerte eine Weile, bis Ketola öffnete. Er lächelte
    Kimmo an, als hätte er seine Ankunft bereits erwartet.
    »Hallo«, sagte er. »Komm doch rein.«
    Er sah anders aus, auf eine Weise verändert, die
    Kimmo nicht sofort einschätzen konnte. Er wirkte ruhig,
    gleichzeitig aber auch angestrengt. In jedem Fall schien er genau so wenig geschlafen zu haben wie Kimmo selbst.
    Kimmo roch ganz leicht die Alkoholfahne.
    »Wochenende fällt aus, was?« sagte Ketola. »Setz dich
    doch.«
    »Danke ... du hast sicher ...« Kimmo hielt inne, als er
    im Zentrum des Raumes auf dem Wohnzimmertisch
    das Modell stehen sah. Das Feld, die Straße, die Allee,
    das kleine Fahrrad, das knallrote Auto. Ketola hatte es
    von den Rädern abgelöst und auf den Tisch gestellt. Es
    sah wirklich aus wie ein Anbauteil einer Modelleisen-
    bahn.
    »Du hast sicher ...«, sagte Kimmo.
    »Davon gehört, natürlich«, sagte Ketola. »Habe ich.
    Ich habe die Nachrichten gesehen ... und war über-
    rascht ... meine Sache, mein Fall von damals ...«
    »Deshalb bin ich hier«, sagte Kimmo. »Ich habe
    sofort an dich gedacht, an den Tag deiner Verabschie-
    dung ...«
    »An das Modell, das wir in der Rumpelkammer ge-
    funden haben ... ich habe es gestern Nacht ein zweites
    Mal aus dem Keller geholt, dieses Mal aus meinem eige-
    nen.«
    »Ja.« Kimmo sah das Modell auf dem Tisch an und
    wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Wisst ihr denn schon Näheres?« fragte Ketola.
    »Nein ... oder doch, wir wissen vermutlich, wer das
    verschwundene Mädchen ist.«
    »Es ist also tatsächlich jemand vermisst?!« Ketola hatte
    sich aufgerichtet, Kimmo spürte die Erregung in seiner
    Stimme.
    »Ja, es sieht so aus ... ein Mädchen in etwa dem Alter,
    in dem damals auch Pia Lehtinen war ... die Eltern
    haben das Fahrrad und die Sporttasche ihrer Tochter in
    den Nachrichten erkannt.«
    Ketola starrte ihn an. »Verstehe ...«, murmelte er.
    »Das ist...«Er begann, leise zu kichern. »Entschuldige...
    das ist einfach ... irrsinnig ... entschuldige bitte.«
    »Ich habe natürlich gleich an dich gedacht. Es war mir
    wichtig zu hören, wie du es siehst, wie du es ... ein-
    schätzt.«
    »Sehr einfach!« sagte Ketola. Er sprach plötzlich klar
    und stechend, so wie damals, als er noch Kimmos Vor-
    gesetzter gewesen war. »Sehr einfach. Es ist derselbe. Er
    ist ... aus irgendeinem Grund ... zurückgekehrt ... es ist sicher verrückt, aber er war auch schon vor dreiunddrei-
    ßig Jahren verrückt, und jetzt hat er nach dreiunddreißig
    Jahren wieder die Kontrolle verloren ... es ist so. Ich
    weiß nicht, was es ausgelöst hat, aber ich bin ganz sicher, dass es so ist.«
    »Dennoch kann ich nicht verstehen ...«
    »Es geht nicht darum, es zu verstehen! Du kannst
    diese Menschen nicht verstehen, Kimmo! Lass dich jetzt
    nicht irre machen. Ich habe mich damals in die Irre
    führen lassen, ich habe etwas falsch gemacht, ich weiß
    bis heute nicht, was, aber du ... ihr ... ihr müsst es jetzt richtig machen, verstehst du ... es ist wirklich wichtig,
    dass ihr nicht dieselben Fehler begeht, die wir damals
    gemacht haben ...«
    Kimmo nickte und wich Ketolas stechendem Blick
    aus. Er verstand es. Natürlich. Er verstand auch Ketolas
    Erregung. Er verstand, dass Ketola, einem jungen
    Ketola, der Tod von Pia Lehtinen und das Scheitern der
    Ermittlungen damals sehr nah gegangen war. Dass ihn
    das Wissen um dieses Scheitern nie mehr ganz
    losgelassen hatte.
    Dennoch ...
    »Dennoch erscheint mir der Gedanke an einen Nach-
    ahmungstäter plausibler... oder...«, sagte er.
    »Quatsch!« Ketola war

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