Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
Vom Netzwerk:
hämmerte und trat gegen die
    Beifahrertür.
    Er ging auf den Wagen zu.
    Er stieg ein.
    Pärssinen startete den Wagen. Sie fuhren eine Weile
    schweigend. Die Sonne schien hell. Nirgends ein ande-
    res Auto. Irgendwann bog Pärssinen auf einen Waldweg
    ab.
    »Ich kenne das hier«, murmelte er. Das Mädchen. Er
    dachte an die Beine des Mädchens. Sie hatte noch
    Schuhe angehabt und lag im Kofferraum. »Ich kenne
    das hier, da hinten kommt ein See«, hatte Pärssinen
    gesagt und den Wagen auf immer schmaler werdenden
    Wegen in den Wald gesteuert.
    Auf der Heimfahrt hatte Pärssinen geschwiegen und
    geschwitzt. Er hatte es gerochen, er roch es auch in der
    Erinnerung. Pärssinen hatte geschwitzt, wie er noch nie
    einen Menschen hatte schwitzen sehen, sein graues
    Hemd war durchnässt gewesen und hatte an seinem
    Körper geklebt. Er selbst hatte nicht geschwitzt. Er
    hatte gezittert. Ihm war kalt gewesen. Wer immer ein
    wenig darauf geachtet hätte, hätte diesen merkwürdigen
    Unterschied zwischen ihnen bemerken müssen, hätte
    bemerken müssen, dass einer schwitzte und einer fror,
    obwohl sie im selben Wagen unterwegs waren, aber sie
    begegneten niemandem, so dass sich auch niemand
    darüber wundern konnte.
    Er hatte neben Pärssinen im Wagen gesessen, hatte
    begonnen, die Häuser wiederzuerkennen, die vorbei-
    flogen, die Straßen, auf denen sie fuhren, und er hatte an das Mädchen gedacht. An den Moment, in dem Pärssinen es ins Wasser hatte hinabsinken lassen, und an
    eine Szene aus Pärssinens Film, die damit nichts zu tun
    hatte, die er einfach nicht aus dem Kopf herausbekam,
    obwohl alles längst vorbei war und er auch nichts getan
    hatte, denn er hatte das Mädchen nicht berührt, hatte
    es nicht einmal berührt, dessen war er sich sicher, hatte
    sich geweigert, für Pärssinen auch nur einen Finger zu
    rühren.
    Pärssinen war gefahren, und er hatte hinter der Wind-
    schutzscheibe einen Sommertag gesehen.
    Als sie schließlich angekommen waren, als Pärssinen
    den Wagen auf dem Parkplatz neben dem von Bäumen
    umrankten Betonklotz abgestellt hatte, war er ausge-
    stiegen, hatte den schwitzenden Pärssinen sitzen lassen,
    war nach oben in seine Wohnung gegangen und hatte
    gleich begonnen, alles, was herumlag, alles, was er in
    Schränken und Schubladen fand, in seine Reisetasche
    zu werfen.
    Er hatte auf die Uhr gesehen, hatte sich zwanzig Mi-
    nuten gegeben, hatte alles, was nicht in die Reisetasche
    passte, in Mülltüten geworfen, den Kühlschrank geleert,
    die Vorräte in den Müll geworfen, alles in den Müll, in
    mehrere Mülltüten, die er neben seiner Reisetasche ab-
    gestellt hatte, hatte das Bettzeug vom Bett entfernt und
    in eine weitere Mülltüte gestopft, und dann war er nach
    unten gegangen, hatte drei Mal gehen müssen, nach
    unten in die Sonne und wieder nach oben in die Woh-
    nung, die im Schatten gelegen hatte, er hatte im Schatten
    und in der Sonne gefroren und wie in weiter Ferne
    Pärssinen gesehen, der die Reifen seines Wagens mit
    einem Schlauch abspritzte und derart auf seine Aufgabe
    konzentriert war, dass er ihn gar nicht bemerkte.
    Er hatte Pärssinen in der flirrenden Sonne bei seiner
    Arbeit zugesehen und währenddessen die Mülltüten,
    eine nach der anderen, mit kontrollierten Bewegungen
    in den Container fallen lassen.
    Inzwischen waren auch Menschen da gewesen, hat-
    ten ihn gestreift, waren gekommen und gegangen, hat-
    ten irgendwo herumgestanden, ohne Näheres von ihm
    zu wollen, die alte besoffene Frau, die direkt neben ihm
    wohnte, hatte Einkaufe getragen und Selbstgespräche
    geführt, und Susanna, das Mädchen, das im Haus gegen-
    über wohnte und an das er häufig gedacht hatte, von
    dem er manchmal geträumt hatte, war mit zwei Freun-
    dinnen an ihm vorbeigelaufen, und die drei hatten ihn
    so fröhlich begrüßt, wie man das an einem Sommertag
    tun durfte.
    Die Mädchen hatten gekichert und erzählt, dass sie
    vom See kommen ... von einem anderen See, und Pärs-
    sinen hatte nicht weit entfernt den Kofferraum gewie-
    nert und geschrubbt, ohne den Kopf zu heben.
    Er war hinter den Mädchen zurück ins Haus gegan-
    gen, die Mädchen hatten Badeanzüge getragen und
    nasse Haare gehabt und waren barfuß gelaufen, obwohl
    auf dem Asphalt häufig Scherben von Bierflaschen
    lagen, darüber hatte er nachgedacht, während er Schritt
    für Schritt nach oben gegangen war, und dann hatte er
    die Wohnungstür hinter sich geschlossen, das Telefon-
    buch genommen und die Firma

Weitere Kostenlose Bücher