Das Schweigen
irgendwann länger über den Tod
seiner Frau zu sprechen, weil er das Gefühl nicht los
wurde, dass dieser Mann in aller Stille am Tod seiner
Frau verrückt wurde, und mit Verrückten, vor allem
mit Verrückten in jungen Jahren, kannte Ketola sich
aus.
Er begrüßte wie an jedem Morgen den Mann an der
Pforte. Mit einem Nicken, und der Mann hinter der Glas-
scheibe nickte zurück. Wenn er sich nicht sehr täuschte,
hatten er und der Mann hinter der Scheibe sich jeden
Tag auf diese Weise gegrüßt, ohne die ganzen Jahre
über ein Wort zu wechseln. Er musste später noch mal
darüber nachdenken, aber im ersten Moment erinnerte
er sich wirklich nicht an ein einziges Gespräch.
Ketola fuhr mit dem Aufzug in den dritten Stock und
ging über den dunklen Flur zu seinem Büro. Er
schaltete das Licht ein, setzte sich an seinen Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. Ein ganz neues Gerät,
auf dem aktuellen Stand der Technik, obwohl auch die
Vorgängercomputer gut funktioniert hatten und vor
allem Ketola nach langem Üben in der Lage gewesen
war, das Betriebssystem zu bedienen.
Aber die Direktion war auf die Investition so stolz ge-
wesen, dass sie einen großen Artikel in der Tageszeitung
platziert hatte. Nurmela hatte bereitwillig und ziemlich
überzeugend vor einem der Geräte posiert, obwohl
Nurmela im Team der einzige war, der von neuen
Technologien noch weniger verstand als Ketola selbst.
Und Tuomas Heinonen hatte der beeindruckten
Journalistin gezeigt, was man mit diesen Computern
und diesem perfekt vernetzten System alles machen
konnte, denn Heinonen war in diesen Dingen sehr
bewandert, er hatte auch Ketola häufig geholfen, wenn
dessen Bildschirm schwarz wurde oder sich
Fehlermeldungen einstellten, und dabei hatte Heinonen
eine bemerkenswerte Geduld bewiesen.
Ketola hatte Nurmela zuliebe an den Schulungen
wichtigtuerischer IT-Experten teilgenommen, obwohl
alle wussten, dass er nur noch wenige Wochen mit den
neuen Computern arbeiten würde. Er kicherte schon
wieder bei der Erinnerung an die Seminar-Tage, denn er
hatte sich da wirklich ein wenig gehen lassen, hatte
manchmal wie ein kleines Kind im Schulunterricht
Witze gerissen, war ein Mal sogar so lange auf seinem
Stuhl hin- und hergeschaukelt, bis er ziemlich hart zu
Boden gefallen war.
Heinonen, der neben ihm gesessen hatte, war zu-
sammengezuckt, Petri Grönholm hatte schallend ge-
lacht, sogar der immer ernste Kimmo hatte gegrinst,
und der Referent hatte endlich mal für zwei Sekunden
sein Maul gehalten und ihn angestarrt wie einen Außer-
irdischen.
In seinem Alter durfte man sich diese kleinen Extra-
vaganzen schon mal gönnen, fand Ketola, schließlich
wollte er auch gar nicht wissen, und ihm wurde fast ein
wenig schwindlig bei dem Gedanken, was auf den Flu-
ren dieses Hauses alles über ihn geredet wurde.
Auf dem Bildschirm leuchteten inzwischen die vielen
kleinen Symbole auf kräftigem blauem Hintergrund.
Die Standardeinstellung des Herstellers. Alle anderen
hatten diverse Hintergrundbilder für ihre neuen
Bildschirme gefunden, Heinonen einen Sonnenstrand,
Grönholm den Star des finnischen Eishockeys, der er-
folgreich in der Nordamerikanischen Profiliga spielte,
und Kimmo Joentaa ein Bild einer roten Kirche vor
blauem Wasser.
Immer wenn Ketola dieses Bild sah, spürte er einen
Stich in der Magengegend, und offen gesagt, empfand
er es als eine Art Zumutung, sich dieses Bild jeden Tag
mehr oder weniger bewusst ansehen zu müssen. Auf
dem Friedhof zwischen der roten Kirche und dem Meer
lag Kimmos Frau begraben, Ketola war dort gewesen
am Tag der Beerdigung. Der Umstand, dass Kimmo ein
Foto dieser Kirche für den Bildschirm gewählt hatte,
warf einige Fragen auf. Zum Beispiel, was in diesem
Mann eigentlich vorging. Wie sollte jemand ein solches
Erlebnis bewältigen, wenn er ihm tagtäglich gegenüber
saß? Ketola wurde nicht schlau daraus.
Er saß eine Weile zurückgelehnt und sah aus dem
Fenster. Es war unvermindert dunkel, auf der Scheibe
sammelten sich Schneeflocken, die zusehends zu einer
weichen, weißen Masse verschwammen.
Wenn Ketola die Sache richtig sah, hatte er hier nicht
mehr viel zu suchen. Seinen Schreibtisch hatte er schon
in der vergangenen Woche geräumt, hatte mitgenom-
men, was er behalten wollte, und entsorgt, was zu ent-
sorgen war. Er hatte vermeiden wollen, das am letzten
Tag in Hektik und am Ende noch in trüber oder aufge-
kratzter Stimmung machen zu
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