Das Schweigen
einige Schritte
zurück.
Joentaa blieb auf der Schwelle stehen. Ein ordentli-
ches Zimmer. Nicht penibel, aber das Erste, was Joentaa
dachte, war, dass sich jeder Gegenstand genau da befand,
wo Sinikka ihn hatte haben wollen. Zumindest war das
sein Eindruck. Als sei alles auf eine bestimmte Weise auf-
geteilt und zugeordnet. Das Zweite, was er bemerkte,
war, dass es kein einziges Regal gab, alles – mit Aus-
nahme eines Computers auf einem Holztisch – stand
auf dem blassen blauen Teppichboden, der im Son-
nenlicht verwaschen und gleichzeitig angenehm frisch
wirkte.
An der Frontseite des Raumes führte eine Glastür auf
eine Terrasse hinaus. Links an der kahlen Wand stand
auf dem Boden eine kleine Musikanlage, daneben sta-
pelten sich kreuz und quer CDs, aber selbst dieses Chaos
wirkte auf eine nicht greifbare Weise geordnet. Rechts an
der Wand lag nur eine mit hellblauer Bettwäsche
bezogene Matratze.
»Ja ... diese Matratze ... Sinikka wollte kein Bett
haben«, sagte Vehkasalo, der seinem Blick gefolgt war.
»Es war ihr lieber so, sie wollte nur noch diese Matratze, ihr Bett steht auf dem Dachboden. Sie wollte ... will ...
sie hat es gerne irgendwie einfach ... in letzter Zeit zu-
mindest ... oder klar oder wie immer man das nennen
will ... ich habe nur diese eine Tochter, deshalb habe ich mit der Pubertät nicht so viel Übung ... an meine eigene
kann ich mich nicht erinnern ... Entschuldigung bitte,
ich rede wahrscheinlich Blödsinn ...«
»Nein«, sagte Joentaa.
»Sie hat sich ja auch die Haare schneiden lassen, so ...
Sie haben ja das Foto. Vorher hatte sie ganz volle Haare
... es sah einfach schöner aus ... aber sie hatte so eine
Phase, denke ich ...«
Joentaa trat näher an die Matratze heran. Abdrücke
auf der Bettwäsche verrieten, dass Sinikka darauf gelegen
hatte. Am Vortag, als sie sich eingeschlossen hatte, um
nicht weiter mit ihrer Mutter sprechen zu müssen.
Unter der Decke lag ein merkwürdig aussehendes
Stofftier. Joentaa beugte sich darüber, konnte aber beim
besten Willen nicht sagen, was das für ein Tier sein
sollte. Eine Mischung aus Bär, Katze und Maus, schien
ihm. Jedenfalls hatte Sinikka das Tier sorgfaltig zur Ruhe gebettet, bevor sie aufgebrochen war.
»Tja ...«, murmelte Vehkasalo.
Joentaa betrachtete das Stofftier und erinnerte sich
an das Foto, das Vehkasalo ihnen am Vorabend gege-
ben hatte. Sinikka hatte ernst, fast verärgert in die
Kamera geblickt, aber Kimmo hatte sich eingebildet,
irgendwo in ihren Gesichtszügen ein sehr breites,
sympathisches Lachen zu sehen. Er musste sich das Foto
später noch einmal genau ansehen. Wozu immer das gut
sein würde ... vielleicht fanden sie gerade jetzt Sinikkas Leiche.
»Haben Sie dann jetzt alles gesehen?« fragte Vehka-
salo.
»Hm ... nein, Entschuldigung ...«
Neben dem Tisch, auf dem der Computer stand, sah
Joentaa noch etwas, das er nicht auf den ersten Blick be-
nennen konnte.
»Was ist das?« fragte er.
»Das ... das ist ein Mini-Trampolin ...«, sagte Veh-
kasalo.
»Ein ...?«fragte Kimmo.
»Zum Hüpfen«, sagte Vehkasalo. »Man hört oben
immer so ein federndes, knirschendes Geräusch, wenn
Sinikka hier hüpft ... das haben wir ihr zum Geburtstag
geschenkt, war der einzige Wunsch, den sie uns mitge-
teilt hat ...«
Joentaa starrte eine Weile das kleine Trampolin an,
dann wandte er sich ab. Sein Blick traf Ketolas Augen,
der stocksteif im Türrahmen stand und seit ihrer An-
kunft mit Ausnahme von wenigen Begrüßungsflos-
keln kein Wort gesagt hatte. Joentaa sah, dass Ketola
schwitzte, er hatte den Eindruck, dass es ihn quälte, hier zu sein. Vielleicht kamen Erinnerungen an damals zu-rück, an sein erstes Gespräch mit den Eltern von Pia
Leh-tinen. Oder es war irgend etwas ganz anderes, das
nichts mit ihrem Hiersein zu tun hatte. Kimmo wich
Ketolas Blick aus und richtete sich wieder an Vehkasalo,
der inzwischen neben ihm stand und sich im Zimmer
umsah, als sehe er alles zum ersten Mal.
»Wissen Sie, das Verrückte ist...« sagte er. Er schien den Faden verloren zu haben, setzte dann aber fort: »Das
Verrückte ist, dass ich unglaubliche ... Sehnsucht habe
nach Sinikka. Es wäre so schön, wenn sie jetzt einfach da
auf der Matratze sitzen würde. Ausgerechnet jetzt, wo es
nicht geht, will ich das, obwohl es mir gestern noch voll-
kommen egal war... verstehen Sie?«
»Ich danke Ihnen«, sagte Joentaa. »Wir melden uns
sofort, wenn wir etwas Neues
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