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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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ist ... ich
    würde ein paar Worte sagen ... dass du lange Dezernats-
    leiter warst und über deine Beteiligung damals im Fall
    von Pia Lehtinen ...«
    »Natürlich.« Ketola betrachtete eine Weile das Haus,
    vor dem sie standen. »Ob überhaupt jemand da ist?«
    »Ich hatte heute morgen angerufen und angekündigt,
    dass ich kommen werde«, sagte Joentaa und drückte
    den Klingelknopf.
    Die Tür wurde nach wenigen Sekunden geöffnet, als
    hätte Kalevi Vehkasalo die ganze Zeit darauf gewartet,
    dass sie endlich klingelten.
    »Guten Morgen«, sagte er, begrüßte sie beide mit
    Handschlag und bat sie herein. Joentaa fiel auf, dass er
    gekleidet war, als wolle er gleich in ein Büro oder zu
    einem geschäftlichen Termin fahren. Er hatte sich ra-
    siert und roch frisch nach Aftershave.
    Alles soll wie immer sein, dachte Joentaa. Je weniger
    es so ist, desto mehr soll es so sein. Dann dachte er an
    Sanna und hörte nicht, was Kalevi Vehkasalo sagte.
    »Entschuldigung ...?«
    »Meine Frau ... es geht ihr besser ... ein wenig besser,
    denke ich ... sie wird gleich kommen«, wiederholte Veh-
    kasalo.
    »Gut ...«Joentaa nickte.
    Kalevi Vehkasalo vermied es, die Sporttasche in der
    Plastikhülle anzusehen, die Schwerin Joentaas Hand lag.
    »Setzen Sie sich doch«, sagte Vehkasalo, und Joentaa
    setzte sich auf den selben Platz, auf dem er in der Nacht
    zuvor gesessen hatte. Auf dem Tisch stand die Schale
    mit Pralinen. Fünf Stück lagen noch darin. Joentaa hatte
    sie am Abend zuvorgezählt, während Sundström sie ge-
    gessen hatte. Sieben Stückwaren es gewesen, zwei hatte
    Sundström genommen, fünf waren in der Schale liegen
    geblieben, und da lagen sie immer noch. Natürlich. Was
    hätte Ruth oder Kalevi Vehkasalo in der Zwischenzeit
    veranlassen sollen, eine Praline zu essen? Vielleicht hatte Sinikka diese Pralinen auch gerne gegessen. Sanna jedenfalls hatte Pralinen manchmal wie eine Wahnsinnige
    in sich reingestopft und ihn böse angeschaut, wenn er
    darüber gelacht hatte.
    Er wischte den Gedanken zur Seite und richtete sich
    an Kalevi Vehkasalo, der wie aus dem Ei gepellt da saß
    und versuchte, Normalität zu erzwingen.
    Joentaa legte die Sporttasche behutsam auf den Tisch.
    »Ich möchte ...«, begann er.
    »Ich werde noch mal nach meiner Frau sehen«, sagte
    Vehkasalo und stand auf, hielt aber in der Bewegung
    inne. Joentaa wendete sich um und erhob sich, um
    Ruth Vehkasalo die Hand zu geben.
    Ihr Händedruck war kaum zu spüren, und Kimmo
    Joentaa erinnerte sich an Merja Sihvonen, Sannas Mut-
    ter, die in den Tagen nach Sannas Tod ähnlich ausgese-
    hen hatte wie Ruth Vehkasalo in diesem Moment. Sie
    gab auch Ketola die Hand.
    »Das ist Sinikkas Tasche«, sagte sie tonlos.
    Joentaa nickte und wollte die Tasche vom Tisch neh-
    men, aber Vehkasalo hielt ihn zurück.
    »Moment noch ...« Er beugte sich über die Tasche
    und betrachtete sie eingehend. »Ja ... ja, aber das haben
    wir ja ohnehin gewusst«, sagte er und lehnte sich abrupt
    wieder zurück. Ruth Vehkasalo stand neben Joentaa,
    starrte die Tasche an und weinte lautlos.
    »Das haben wir doch gewusst, Ruth ... sei jetzt ...
    bitte ...«, sagte Vehkasalo.
    Joentaa legte die Tasche vorsichtig neben den Sessel,
    in dem er saß. Ruth Vehkasalo starrte weiter auf den
    Tisch, auf dem die Tasche gelegen hatte.
    »Ruth, setzt dich jetzt bitte zu mir«, sagte Kalevi Veh-
    kasalo.
    Nach einer Weile löste sich Ruth Vehkasalo aus der Er-
    starrung und setzte sich neben ihren Mann auf das Sofa.
    »Es gibt nichts Neues«, sagte sie. Es klang nicht wie
    eine Frage, sondern wie eine Feststellung.
    »Nein, noch nicht«, bestätigte Joentaa. »Ich ... möchte
    zunächst sagen, dass ich Antsi Ketola gebeten habe, bei
    diesem Gespräch dabei zu sein. Er war bis vor wenigen
    Monaten Leiter unseres Dezernats und ist der Einzige,
    der bereits damals im Fall von Pia Lehtinen ermittelt
    hat. Ich habe ihn gebeten, dabei zu sein ...«
    »Natürlich«, sagte Vehkasalo abwesend. »Es ist sicher
    gut, dass Sie alles tun, um ... um Sinikka zu finden.«
    Ruth Vehkasalo warf Ketola einen hilfesuchenden
    Blick zu, aber Ketola saß nur merkwürdig reglos neben
    Joentaa und schwieg.
    »Ich möchte noch einmal kurz auf den Ablauf des
    gestrigen Tages zurückkommen, bis zu dem Zeitpunkt,
    als Sinikka zum Training gefahren ist«, sagte Joentaa.
    »Sie war in der Schule«, sagte Ruth Vehkasalo. Sie
    sprach leise und monoton, als hätte sie diese Sätze schon
    oft gesagt, vielleicht in Gedanken.

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