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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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wissen ...«
    Vehkasalo starrte ihn an und nickte. »Tja dann ...«,
    murmelte er.
    Sie gingen zurück ins Wohnzimmer. Ruth Vehka-
    salo saß vor dem Fernseher und las eine Nachricht im
    Videotext. Neu in der Meldung war der Name der Ver-
    missten. Sinikka V. Die Nachricht war in der Hierarchie
    seit dem Vorabend noch weiter nach oben gerutscht, sie
    war unter den inländischen Topmeldungen platziert.
    Kimmo war nicht überrascht darüber, das Verschwinden
    eines Kindes besetzte mindestens in den Boulevard-
    medien ohnehin die Titelseiten, und der in diesem Fall
    gegebene mysteriöse Zusammenhang zu einem lange
    zurückliegenden, unaufgeklärten Verbrechen potenzierte
    das Interesse noch.
    Ruth Vehkasalo nahm den Blick nur kurz vom Bild-
    schirm, als er und Ketola sich verabschiedeten.
    »Kommen Sie, wann immer Sie wollen ...«, sagte
    Vehkasalo, während er Joentaas Hand festhielt. Joentaa
    nickte und trat mit dem beharrlich schweigenden Ketola
    in die Sonne.
    Ketola ging schnell, immer einen Schritt vor Joentaa,
    und verabschiedete sich kurz angebunden. »Gut, dass ich
    im Ruhestand bin. Mir ging das hier tatsächlich ein
    wenig an die Nieren.«
    »Ja ...«, sagte Kimmo. Er hätte gerne nachgehakt,
    aber er wusste nicht recht, wie er beginnen sollte, und
    Ketola ging bereits ein wenig schwankend zu seinem
    Wagen.
    »Bis später!« rief er noch, bevor er einstieg.
    Kimmo Joentaa sah, wie er losfuhr, er suchte noch
    einmal Blickkontakt. Ketola starrte an ihm vorbei auf die
    Straße.
    Sundström hatte eine Nachricht auf seinem Mobil-
    telefon hinterlassen. Kimmo spürte ein unangenehmes
    Kribbeln. Vielleicht hatten sie Sinikka Vehkasalos Lei-
    che gefunden. Er schloss die Augen und hörte Sund-
    ströms Stimme, die ihn lediglich über eine Teambespre-
    chung um 14 Uhr informierte.
    Er steckte das Handy ein und betrachtete eine Weile
    das hellgrüne Haus in der Sonne.
    Er sah Ruth Vehkasalo hinter der Scheibe, gerade ließ
    sie die Jalousien herunter.

    3

    Was für eine ungeheure Energie, dachte Timo Korven-
    suo. Das Wort ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.
    Energie, alles war Energie.
    Er saß im Schatten des Hauses und sah seinen Kin-
    dern beim Herumrennen zu. Sie waren nicht klein zu
    kriegen, sie rannten und sprangen und schwammen
    und lachten und riefen und schrien, und Timo Kor-
    vensuo hatte ihnen im Gefühl angenehmer Lähmung
    zugesehen, bis irgendwann das Wort Energie in sein
    Hirn gekrochen war und sich eingenistet hatte, und die
    Kopfschmerzen waren zurückgekehrt.
    Energie. Energie. Kraft, ungeheure Kraft, die stärker
    gewesen war als er selbst. Er hatte sich selbst dabei zugesehen. Ein Betrachter seiner eigenen Zerstörung. Unver-
    meidbar. Still und ganz leicht, mit unbeschreiblicher
    federleichter Wucht niedergestreckt ... dann war er an
    den Strand von Naantali gegangen, mit einem Handtuch
    und seinen Lehrbüchern ... Kindermünder, Kinderkör-
    per, nackte gespreizte Kinderkörper ... Boote im lauen
    Wind, Lachen um ihn herum, Frauen, die Eis aßen und
    ihn ab und zu freundlich nach der Uhrzeit fragten ...
    und seine Bücher, Wahrscheinlichkeitsrechnung oder
    Algebra, auf einem Handtuch, ein wenig Sand auf dem
    Papier, die Zahlen und Buchstaben halb verdeckt, seine
    Augen verschleiert ... braun gebrannte junge Körper, die
    federnd absprangen, kopfüber von einem nassen,
    holzigen Steg, in naher Ferne, in kaltes, klares Wasser ...
    eine kühle Brise auf seiner Haut ... und das Gefühl,
    immer tiefer hinabgezogen zu werden, sanft, behutsam,
    in einen wunderschönen Alptraum.
    Marjatta kam aus der Sauna, legte das Handtuch ab
    und sprang ins Wasser.
    Ganz für sich war er gewesen, allein ... weniger als
    allein.
    Bis Pärssinen gekommen war und ihn zu sich herein-
    gebeten hatte. Alles war Energie und nichts Zufall.
    Nichts passierte einfach. Das hatte er gespürt, als er
    zum ersten Mal über die Schwelle von Pärssinens
    Wohnung getreten war.
    Zugezogene Jalousien. Sonnenflecken auf dem

    Boden. Pärssinen hatte einen Pflaumenschnaps in kleine
    Gläser gegossen, eine Filmrolle in den Projektor einge-
    legt und die Leinwand ausgefahren. Während der Film
    lief, immer dann, hatte Pärssinen geschwiegen.
    Aku kam auf ihn zu. Er rannte, stolperte, rutschte aus und rannte weiter. Mit einer Pistole bewaffnet. Er
    lachte und spritzte ihm Wasser ins Gesicht und fragte,
    ob er mit ihnen Ball spielen wolle.
    »Lass deinen Alten doch mal ein wenig zur Ruhe
    kommen«, sagte Timo Korvensuo.
    Aku rannte zurück

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