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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Papa!«
    »Entschuldige ...«, murmelte Korvensuo, während
    sein Sohn schon wieder an den See hinunter rannte.

    4

    Am Abend sah Kimmo Joentaa durch das Küchenfens-
    ter Pasi und Liisa Laaksonen, das ältere Ehepaar, das im
    Nachbarhaus wohnte. Pasi trug die Angel über der
    Schulter, in Liisas Hand baumelte der Korb für die
    Fische.
    So war es auch am Morgen nach Sannas Tod gewesen.
    Kimmo sah die beiden oft, und jedes Mal, wenn er sie
    sah, dachte er an Sanna, denn das Bild, Pasi und Liisa
    mit der Angel und dem Korb, hatte sich eingebrannt.
    Pasi und Liisa hatten ihn damals durch die Scheibe
    hindurch erkannt und ihm zugewinkt, und genau das
    taten sie auch jetzt. Dieses Mal winkte Kimmo zurück,
    damals hatte er reglos gestanden. Dieses Mal kamen sie
    vom See, damals waren sie erst hinunter gegangen. Und
    damals waren sie am Abend gekommen, um Sanna und
    ihm einige ihrer Fische zu schenken. Kimmo hatte die
    Folie mit den Fischen kalt in seinen Händen gespürt,
    Pasi und Liisa erwartungsvoll lächeln sehen und den
    beiden mitgeteilt, dass Sanna in der Nacht gestorben
    war. Auch diesen Moment, den Moment, in dem das,
    was er sagte, in die beiden eingedrungen war, hatte er
    nicht vergessen.
    Vor einigen Monaten hatte Pasi Laaksonen einen
    leichten Infarkt erlitten. Liisa war am Abend zu Joentaa
    gekommen, und sie hatten eine Weile geredet. Liisa
    hatte geweint, und Kimmo hatte nicht gewusst, wie er
    sich verhalten sollte, wie er sie hätte trösten sollen, aber Liisa hatte sich am Ende für das Gespräch bedankt. Pasi
    war schon nach einigen Tagen wieder fischen gegangen.
    Kimmo starrte aus dem Fenster. Vermutlich würde
    bald Pasi klingeln, um ihm Fische zu schenken.
    Er betrachtete eine Weile den mehrfach eingerissenen
    Karton, der im Flur stand. Die Akten von damals. Er
    hatte den Karton mitgenommen, weil er gespürt hatte,
    dass er ohnehin nicht würde schlafen können. Sund-
    ström hatte die Stirn gerunzelt, aber nichts weiter ge-
    sagt.
    Sie hatten die Leiche von Sinikka Vehkasalo auch an
    diesem Tag nicht gefunden. Sie hatten zwei Team-
    besprechungen gehabt, hatten Aufgabenbereiche abge-
    steckt, Aufgaben verteilt und zum Teil bereits erfüllt.
    Inzwischen arbeiteten rund dreißig Ermittler an
    dem Fall, die meisten waren Streifenpolizisten oder
    vorübergehend von anderen Abteilungen abgezogen
    worden. Sundström hatte diese vergleichsweise große
    Gruppe gut koordiniert und es verstanden, mit einer
    klaren, selbstsicheren Ansprache eine effektive Grund-
    stimmung zu erzeugen.
    Die meisten waren vermutlich jetzt noch unterwegs,
    um Menschen im Umfeld der Vehkasalos, Nachbarn,
    Bekannte, Verwandte, Freundinnen und Freunde, zu
    befragen oder deren Aussagen zu Papier zu bringen und
    gegenzulesen, Menschen, die bislang, so weit das zum
    jetzigen Zeitpunkt zu überblicken war, nichts Weiter-
    führendes hatten beisteuern können.
    Den Ermittlern der Kerngruppe, Heinonen, Grön-
    holm und Joentaa, hatte Sundström nach einer letzten
    längeren Besprechung mit einem Anflug von Pathos
    oder vielleicht doch eher Ironie oder einfach nur ganz
    ernsthaft einen erholsamen Feierabend verordnet.
    Kimmo Joentaa hatte den Karton genommen und war
    gegangen. Er hatte bereits den größten Teil des Tages
    damit verbracht, die alten Akten zu lesen in der Hoff-
    nung, Details einer dreiunddreißig Jahre zurückliegen-
    den, gescheiterten Ermittlung in einen neuen Zusam-
    menhang stellen zu können.
    Er hatte Sundström gesagt, dass er sich zunächst in-
    tensiv mit diesem Aspekt der Ermittlung befassen wolle,
    ohne zu wissen, warum. Vermutlich wollte er einfach
    am Anfang beginnen. Wenn es denn der Anfang war.
    Wenn es überhaupt einen Zusammenhang gab. Die
    Akten umfassten mehrere tausend Seiten. Kimmo hatte
    in vergilbenden Ordnern geblättert und war immer wie-
    der über Ketolas Handschrift gestolpert, unleserliche
    Notizen an Seitenrändern. Ab und zu Ausrufezeichen
    an Stellen, die Kimmo nicht einleuchteten.
    Sundström hatte zwischenzeitlich einige Male nach
    Ketola gefragt, weil er mit ihm sprechen wollte, aber Ke-
    tola war nicht mehr aufgetaucht und auch telefonisch
    bis zum Abend nicht zu erreichen gewesen. Kimmo
    erwog, es jetzt noch einmal zu versuchen, aber etwas
    hielt ihn davon ab.
    Stattdessen nahm er einen Ordner aus dem Karton,
    setzte sich an den Tisch im Wohnzimmer und begann
    zu lesen. Ein Gespräch, das Ketola mit der Mutter und
    dem Vater der verschwundenen Pia Lehtinen geführt
    hatte. Der Versuch,

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