Das Schweigen
gestanden. Joentaa hatte sich abrupt aufgerichtet und gehustet in der Hoffnung, der Pfarrer würde
denken, dass er die ganze Zeit nur gehustet und keines-
falls mit sich selbst gesprochen hätte. Der Pfarrer hatte
gelächelt, wissend und sanft, anmaßend, hatte Joentaa
in diesem Moment gedacht, und er vergewisserte sich
seitdem immer, dass niemand in der Nähe war, bevor er
seine Gespräche begann. Gespräche mit Sanna. Oder
vielleicht doch mit sich selbst oder mit der Sonne, dem
Regen oder dem Schnee. Das spielte keine Rolle.
Er berührte die Erde auf dem Grab und erzählte alles
Mögliche, alles, was ihm gerade einfiel. Er sprach eine
ganze Weile, das, was er sagte, wurde immer sinnloser
und beliebiger, immer losgelöster und befreiender, und
manchmal lachte er, weil er wusste, dass Sanna über
das, was er gesagt hatte, auch gelacht hätte, und
irgendwann vergaß er sogar, darüber nachzudenken, ob
jemand in der Nähe war und ihn hören konnte.
Er sprach, bis er die Erschöpfung und die Leere spürte.
Dann ging er zu seinem Wagen und fuhr zurück aufs
Festland.
2
Timo Korvensuo legte auf halber Strecke eine Pause
ein. Er saß in der Raststätte und trank einen Kaffee.
Zwischen dem Absetzen des Plastikbechers und dem
nächsten Schluck entwickelte er eine Art Rhythmus, der
ihn ein wenig beruhigte.
Er war in der Nacht schließlich doch eingeschlafen,
aber es war kein erholsamer Schlaf gewesen. Der Schlaf
war durchdrungen gewesen von Träumen, an deren In-
halt er sich nicht erinnern konnte.
Nach dem ersten holte er sich einen zweiten Becher
mit Kaffee, und dann begann er, darüber nachzudenken,
was er als Nächstes tun sollte.
Die ganze Fahrt über war der Gedanke dagewesen,
umgehend wieder umzukehren. Einmal hatte er das
sogar gemacht und war etwa zwanzig Kilometer zurück
in Richtung seines Wochenendhauses gefahren. Er hatte
überlegt, was er Marjatta und den Kindern sagen würde.
Der Kunde aus Turku hatte angerufen und den Termin
abgesagt. Ganz einfach. Verschoben. Auf unbestimmte
Zeit. Vermutlich würden Marjatta und die Kinder gar
nicht fragen, sondern sich einfach über seine schnelle
Rückkehr freuen.
Dann hatte er den Wagen gewendet und war wieder
in Richtung Turku gefahren, er hatte das Gaspedal ganz
durchgedrückt und ab und zu die Augen geschlossen
und sich treiben lassen. Eine Weile hatte er jeden gefah-
renen Kilometer laut mitgezählt.
Jetzt saß er an einem Tisch für zwei Personen in einer
Raststätte und betrachtete die vorbei rasenden Autos.
Seine Gedanken kreisten um die Tatsache, dass er nach
wie vor die Wahl hatte. Weiterfahren nach Turku. Zu-
rück nach Hause.
Oder er würde einfach auf diesem Stuhl sitzen bleiben
und sich nicht bewegen. Auf unbestimmte Zeit. Er
würde den Pappbecher in regelmäßigen Abständen zum
Mund führen und den Autos beim Hin- und Herfahren
zusehen.
Korvensuo lächelte ein wenig bei dem Gedanken, und
eine junge Frau, die in diesem Moment seinen Blick
traf, kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf
und drehte ihm den Rücken zu.
Wenig später setzte Korvensuo seine Fahrt fort. Die
Sonne blendete, ein heißer Tag lag in der Luft.
Er stellte sich vor, dass Laura und Aku kopfüber in
klares Wasser sprangen, und fuhr in moderatem, gleich-
mäßigem Tempo nach Turku.
3
Das Mädchen auf dem Foto lachte. Lauthals, dachte
Joentaa, das war das Wort, das ihm beim Anblick des
Mädchens eingefallen war. Pia Lehtinen.
Joentaa stand vor dem Foto und spürte ein Kribbeln
bei dem Gedanken, dass dieses Foto hier seit Jahrzehn-
ten hing. So wie die Fotos von Sanna in Jahrzehnten da
sein würden, wo sie jetzt waren.
»Das ist Pia«, sagte Elina Lehtinen, die neben ihn ge-
treten war. In ihren Händen ruhte ein Tablett mit Tassen,
Tellern und einem noch dampfenden Blaubeerkuchen.
»Ich weiß«, sagte Joentaa.
»Natürlich ... Sie haben ein Foto in Ihren Unterla-
gen«, sagte Elina Lehtinen.
Joentaa nickte.
»Es ist unglaublich lange her«, sagte sie, ohne den
Blick von dem Foto zu nehmen. »Ich habe gestern darü-
ber nachgedacht ... und war überrascht, als mir bewusst
wurde, dass Pia heute eine sechsundvierzigjährige Frau
wäre. Schwer vorstellbar ...«Sie sah ihn an und lächelte.
Joentaa nickte. »Ich ...«, begann er.
»Ja?«
»Entschuldigung ... das ist sicher eine merkwürdige
Frage, aber ... wissen Sie, worüber Pia so gelacht hat?«
Elina Lehtinen sah wieder auf das Bild und dachte
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