Das Schweigen
ver-
schwunden war, und Elina Lehtinen hatte Turre
angesehen und die Frage in seinen Augen gelesen, aber
Turre hatte keine Frage gestellt, und Elina hätte auch
keine Antwort geben können, denn sie wusste nicht,
was da vor sich ging, neben Pias Kreuz, sie hatte nicht
die geringste Ahnung, was es war. Sie wusste nur, dass
sie daraufgewartet hatte.
Irgendwann hatte Turre gesagt, dass seine Frau ver-
gangene Nacht im Pflegeheim aus dem Bett gefallen sei
und nun längere Zeit im Krankenhaus verbringen
müsse. Elina hatte gesagt, dass ihr das sehr leid tue.
Dann hatten sie lange schweigend das auf dem Weg
liegende Fahrrad betrachtet. Und die Polizeibeamten,
die vorsichtig daneben knieten und ab und zu kleine
Gegenstände in Klarsichtfolien gleiten ließen.
Turre war irgendwann gegangen, ohne noch etwas zu
sagen. Er hatte sie nur kurz und leicht an der Schulter
berührt. Elina wusste nicht, ob zufällig oder bewusst,
aber sie hatte die Berührung noch auf ihrer Haut ge-
spürt, als sie langsam zurück nach Hause gegangen war,
und sie spürte die Berührung auch jetzt, sie musste sich
nur auf die Stelle konzentrieren, die Turres Hand ge-
streift hatte.
Sie blickte hinüber auf Turres Haus, in dem kein
Licht brannte. Vielleicht schlief er schon oder er war im
Krankenhaus bei Maria.
Die Männer packten inzwischen geduldig und mit
sicheren Bewegungen ihre Gerätschaften zusammen.
Ein anderer Scheinwerfer brannte. Er stand neben
einem Kleinbus mit dem Logo des staatlichen Fern-
sehens. Elina sah einen jungen Mann, der eine Kamera
auf eine Frau richtete. Die Frau hielt ein Mikrofon in
der Hand und gab dem Mann Anweisungen, sie war
unzufrieden, weil er wohl die Kamera anders halten
sollte. Das war jedenfalls Elinas Eindruck aus der Ent-
fernung,
Aus dem Kleinbus stieg ein zweiter Mann, und sie
verstand sogar, was er der Frau zurief, denn es war an-
sonsten ganz still, ein stiller Abend.
»In zwanzig Sekunden sind wir drauf!« rief der Mann.
Die Frau mit dem Mikrofon nickte.
Elina nickte auch und ging ins Haus, um sich die
Nachrichten anzusehen.
6
Timo Korvensuo lag neben Marjatta im Bett und kon-
zentrierte sich auf ihr leises, ruhiges Atmen.
Die Kinder schliefen im Zelt.
Am Abend hatten sie zu viert ein Gesellschaftsspiel
gespielt. Aku hatte gewonnen, nicht zuletzt weil Timo
Korvensuo seinen Sohn hatte gewinnen lassen, denn er
hatte den ganzen Abend ungewöhnliches Würfelglück
gehabt und ständig strategische Fehler begehen müssen,
um dieses Glück wieder auszugleichen.
Aku war der Einzige, der davon nichts mitbekom-
men hatte. Marjatta hatte vor sich hin gelächelt, Laura
hatte die Nase gerümpft, und Aku hatte sich am Ende
gar nicht mehr eingekriegt vor Freude.
Laura hatte dann doch noch darauf hingewiesen, dass
Papa sowieso parteiisch gewesen sei, weil der kleine Aku
nicht verlieren könne und keiner Lust daraufhätte, dass
er wieder die Spielfiguren durch die Gegend schmeißt
und das Spielbrett zerfetzt. Aber darüber hatte Aku im
Gefühl seines Triumphes nur gelacht.
Es war ein schöner Abend gewesen, Timo Korven-
suo hatte ununterbrochen, Sekunde um Sekunde, die
unwahrscheinliche Schönheit dieses Abends empfun-
den, ansonsten war nichts da gewesen, nur ein Dröhnen
im Kopf und ein Flimmern vor den Augen.
Morgen, gleich nach dem Frühstück, nach einem
kurzen Abschied, würde er nach Turku fahren.
10. Juni
I
Früh am Morgen fuhr Kimmo Joentaa nach Lenganiemi.
Während die Fähre übersetzte, stand er im kühlen
Wind, hielt die Augen geschlossen und dachte an
Sanna. Ohne ein konkretes Bild zu gewinnen, er dachte
einfach ihren Namen.
Der Fährführer sah ihn missmutig oder gelangweilt
an, als Joentaa die Augen wieder öffnete. Der Mann
wendete sich ab, als ihre Blicke sich trafen.
Der Friedhof lag in der Morgensonne. Joentaa war
der einzige Besucher. Manchmal begegnete er dem Pfar-
rer, der freundlich grüßte und meistens gleich in der
roten Holzkirche verschwand, aber ab und zu kam er
auch herüber, dann standen sie vor Sannas Grab und
wechselten ein paar Worte.
Heute war Joentaa allein. Er goss das Grab, betrach-
tete eine Weile den Grabstein, den Namen, der darauf
stand, und die Zahlen, die Sannas Leben einrahmten,
und die weite blaue Wasserfläche. Dann ging er in die
Knie und begann, leise zu sprechen.
Einmal, in den ersten Monaten nach Sannas Tod,
hatte ihn der Pfarrer dabei überrascht, er hatte plötzlich hinter ihm
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