Das Schweigen
dunklen Winter. Und
einen Schlaf und einen Traum. Einen Traum von einer
Flut, die alles wegschwemmte. Den ganzen Mist. Den
ganzen Dreck, der ihn nicht mehr interessierte.
Er ging ins Bad und kontrollierte im Spiegel seine
Augen. Sie fühlten sich rot an, aber sie waren nicht rot.
Sie sahen aus wie immer, und das Gesicht im Spiegel
war das Gesicht eines jung gebliebenen Mittfünfzigers.
Er ging zurück zum Bett. Er dachte an Marjatta und
die Kinder. Sie waren wieder zu Hause und schliefen.
Alles war bestens, mit Ausnahme der Kontrollleuchte in
Marjattas Auto. Marjatta hatte am Telefon erzählt, dass
die Leuchte während der Heimfahrt vom Wochenend-
haus auf halbem Weg angefangen hatte zu blinken. Die-
ses Blinken hatte sie beschäftigt, und Korvensuo, der
sich damit ein wenig auskannte, hatte sie beruhigen
können. Es musste wohl repariert werden, aber es eilte
nicht.
Früher am Abend war ihm eingefallen, dass Sonntag
war und dass Marjatta bestimmt Hämäläinens Talk-Sen-
dung ansah. Seit Monaten saß er Marjatta zuliebe sonn-
tags auf dem Sofa und sah sich diese Sendung an. Mar-
jatta lag in seinem Schoß, und er strich mit den
Händen über ihren Rücken. Ganz leicht.
Er hatte kurz überlegt, den Fernseher einzuschalten.
Zu sehen, was Marjatta sah, aber er hatte es sein lassen.
Er hatte aufrecht im Bett gesessen, und seine Gedanken
hatten still gestanden, bis er irgendwann daran gedacht
hatte, dass er morgen noch einmal bei Marjatta anrufen
würde. Um Bescheid zu geben, dass sich seine
Heimkehr verschieben würde. Aus triftigen Gründen.
Pekka hielt die Stellung im Büro.
Marjatta war bei den Kindern.
Die Kinder hatten Ferien.
Er hatte eine Weile darüber nachgedacht, was er
morgen tun würde, ohne zu einem Ergebnis zu kom-
men.
Er saß auf dem Bett. Draußen schien die Nachtsonne.
In einem der angrenzenden Zimmer wurde eine Dusche
eingeschaltet.
Er schloss die Augen. Das Kissen, auf das sein Kopf
glitt, fühlte sich weich und kühl an.
Nichts, dachte er. Gar nichts.
Das Wasser im Nebenzimmer rauschte und prasselte.
Kurz bevor er einschlief, dachte er an Pärssinen.
Netter alter Hausmeister.
Dann löste sich aus einer dunklen Häuserfront ein
Mann. Er hatte lockige Haare, ein versteinertes Gesicht
und ging schnell, er glitt vorwärts wie auf Schienen. Er
hielt ein Messer in der Hand und kam auf ihn und
Marjatta zu. Er erklärte Marjatta noch, dass dies ein
Traum war, dann stach der Lockenkopf zu, und als
Marjatta in seine Arme sank, begriff er, dass es kein
Traum war, weil es Träume nicht gab.
Er erwachte.
Er richtete sich auf. Die Uhr zeigte fünf. Hinter seiner
Stirn hingen ein tauber Schmerz und ein ganz bestimm-
ter Gedanke, Pärssinen betreffend.
11. JUNI
I
Elina Lehtinen erwachte früh am Morgen mit Pias Bild.
Es hatte den ganzen Traum ausgefüllt und löste sich
auf, als sie die Augen aufschlug.
Sie spürte noch das Make-up auf der Haut und dachte
an Ketola, mit dem sie lange gesprochen hatte, über
Gott und die Welt, bis spät in die Nacht, bis sie in dem
Cafe neben dem Fernsehsender die letzten Gäste
gewesen waren.
Zwei alte Menschen, die viel getrunken hatten. Ver-
mutlich hatten sie ein merkwürdiges Bild abgegeben.
Am Ende hatte der Kellner sogar gesagt, dass sie gut zu-
sammenpassten. Elina hatte gekichert, und Ketola hatte
der Mund offen gestanden.
Er werde den Mann zur Strecke bringen, hatte Ketola
früher an diesem Abend gesagt. Den Mann, der es getan
habe. Und dass ihm das schon am Tag seiner Verab-
schiedung klar geworden sei. Dass er es tun müsse. Aus
Gründen, die er nicht kannte.
Elina Lehtinen hatte genickt und Ketola nicht verstan-
den, aber sie hatte sofort gewusst, dass es einen Sinn
hatte, und sie hatte auch keine Sekunde gezögert, als er
sie am Mittag nach dreiunddreißig Jahren überfallen
hatte mit der Frage, ob sie gemeinsam ein Interview gebe
könnten, im Fernsehen. Natürlich. Hämäläinen. Die
Sendung mit der Rekord-Einschaltquote, die sie jeden
Sonntag ansah. Über Pia reden. Hämäläinens Fragen
beantworten.
Es gehe darum, hatte Ketola erläutert, die Sache jetzt
richtig in Bewegung zu bringen, den Mann aus der
Reserve zu locken, bis er einen Fehler begehe und dann,
genau in diesem Moment, hatte Ketola mit dieser ru-
higen, aufgeräumten Stimme gesagt, werde er ihn zur
Strecke bringen. Natürlich, hatte Elina Lehtinen geant-
wortet und gesehen, wie draußen ihr Nachbar
Weitere Kostenlose Bücher