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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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hatte nicht sonderlich viel
    darüber nachgedacht. Später, hatte er gedacht und
    manchmal in Gesprächen über dieses Thema auch
    gesagt.
    Joentaa erinnerte sich an seine eigene Kindheit. Er
    war bald nach der Schule aus Kitee weggezogen, hatte
    sich von seiner Mutter gelöst und gleichzeitig immer
    empfunden, wie wichtig ihm die Bindung zu ihr war.
    Das Wissen um ihr Dasein. Das schien im Fall von Si-
    nikka anders zu sein. Auf den ersten oberflächlichen
    Blick. Warum hatte sich Sinikka so nachhaltig von
    ihren Eltern lösen wollen? Joentaa starrte das Foto an,
    als könnte das Mädchen darauf ihm eine Antwort
    geben.
    »Alles klar, Kimmo?« fragte Sundström.
    »Ja, ja«, sagte Joentaa.
    »Was sagt dir das Foto?« fragte Sundström.
    »Tja ... was ist euer Eindruck?« Joentaa hielt das Foto
    für alle sichtbar. Eine Weile sagte niemand etwas.
    »In einem Wort«, sagte Joentaa.
    Wieder herrschte Schweigen.
    »Lieb ... ich meine... sie sieht nett aus«, sagte Heino-
    nen schließlich.
    Grönholm nickte. »Geheimnisvoll?« sagte er. »Irgend-
    wie, als ob sie geheimnisvoll wirken möchte.«
    »Das sehe ich gar nicht«, sagte Sundström. »Nein, zu-
    rückhaltend ... irgendwie schüchtern, aber auch wieder
    nicht ...« Er schnellte plötzlich nach vorn, griff nach
    dem Bild und hielt es sich dicht vor die Nase. »Ich
    finde, sie erweckt den Anschein ... als würde sie ... ach, was weiß ich ...«
    »Traurig«, sagte Niemi.
    Alle wendeten sich in seine Richtung.
    »Das Mädchen ist traurig«, sagte Niemi mit seinem
    ewigen Lächeln auf dem Gesicht.

    6

    Timo Korvensuo saß in einem Hotelzimmer auf einem
    Stuhl und sah durch das Fenster die Stadt in der Abend-
    sonne liegen. Das Fenster war geklappt, eine Brise
    Wind strich über seine Schultern.
    Gedämpft hörte er die Sirene eines Polizeiwagens.
    Wenig später flackerte auf Höhe des Marktplatzes ein
    Blaulicht. Er konnte nicht sehen, was passierte, aber es
    passierte nahezu lautlos, ab und an Schläge, als würde
    jemand gegen Mülltonnen treten. Vermutlich Betrun-
    kene, die aus dem Koma der vergangenen Nacht er-
    wachten und noch ein wenig randalierten, bevor sie
    nach Hause gingen. Halb so wild.
    Das Zimmer lag günstig, die Sonne fiel direkt auf
    seinen Körper und wärmte. Entspannend. Das Zittern
    hatte nachgelassen. Während der Fahrt hatte er begon-
    nen zu zittern, er hatte kaum noch die Gangschaltung
    bedienen können, aber es war besser geworden, seitdem
    er hier im Zimmer saß und auf die Stadt herabblickte.
    Es beruhigte.
    Er hatte das Gefühl, eine gewisse Kontrolle zurück-
    zugewinnen. Die Ahnung einer gewissen Ordnung. Ein
    Reduzieren der Dinge. Auf dem Schreibtisch lagen ein
    Blatt Papier sowie eine Mappe mit Angaben zum
    Service des Hotels und die Preisliste für die Mini-Bar.
    Und die DVD. In einer weißen, neutralen Hülle.
    Nichts, dachte er. Gar nichts. Am Ende blieb nichts
    übrig außer Erinnerungen, vagen Vorstellungen, die ge-
    nauso gut Fantasien sein konnten. Oder Träume, die
    man geträumt hatte und gleich darauf vergessen, um
    später noch einmal ein diffuses Bild zu sehen, in einem
    bestimmten, vollkommen beliebigen Moment.
    Vielleicht hatte er gerade mit Marjatta telefoniert. Mit
    fester Stimme. Alles Wissenswerte durchgegeben und
    einen schönen Abend gewünscht. Vielleicht hatte Pia
    Lehtinen im Feld gelegen. Vielleicht hatte die Stimme
    des Mädchens Pärssinen gebeten, aufzuhören, eine
    merkwürdig ruhig klingende Stimme, die nur von Zeit
    zu Zeit durchdrang, weil Pärssinen dem Mädchen den
    Mund zuhielt und die Stimme mit Stöhnen übertönte.
    Er meinte, die Stimme im Ohr zu haben, er konnte sich
    täuschen. Er ließ sich treiben.
    An der Rezeption standen zwei junge Frauen in adret-
    ten Uniformen, die ihn professionell anlächelten, als er
    vorüberglitt. In der Tiefgarage stand sein Wagen. Das
    Notebook lag im Kofferraum und wog leicht in seiner
    Hand, als er im Aufzug neben einem alten Mann stand.
    Die CD lag noch auf dem Tisch, als er ins Zimmer zu-
    rückkehrte. Er legte die CD ins Laufwerk ein und hörte
    das sanft surrende Geräusch funktionierender Technik.
    Ein Fenster, das sich Öffnete. Ein Knopf, der sich
    drücken ließ.
    Eine kleine Schwarzhaarige zwischen zwei Män-

    nern. Das Bild ein wenig unscharf und verwackelt. Kor-
    vensuo ließ den Film laufen, während er Toilettenpapier
    aus dem Badezimmer holte. Als er zurückkehrte, starrte
    das Mädchen in die Kamera und einer der Männer kün-
    digte an,

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