Das Schweigen
kommen zu wollen. Timo Korvensuo fasste
sich in den Schritt und stützte sich leise stöhnend auf
dem Tisch ab.
Später saß er lange auf dem Bett und wartete darauf,
dass sich das Bild, das er gesehen hatte, im selben Nichts verlor, aus dem es gekommen war.
7
Kimmo Joentaa las in den alten Akten. Pia Lehtinen war
gefunden, die Zahl der Ermittler aufgestockt worden.
Joentaa las Gespräche, Wort für Wort, er zwang sich,
keinen Satz zu überspringen.
Der Kreis um Angehörige, Freunde und Bekannte
des Opfers, Menschen, die im mindesten mit Pia Leh-
tinen in Verbindung gebracht werden konnten, war
immer weiter bemessen worden. Gespräche auch mit
Männern, die bereits als Sexualstraftäter aktenkundig
waren. Leere Dialoge. Einer der Männer begann zu wei-
nen und schrie, dass ihm das Mädchen leid tue, was ihn
vorübergehend verdächtig machte. Bis zweifelsfrei fest-
gestellt wurde, dass er am Tag von Pias Verschwinden
im Urlaub in Griechenland gewesen war.
Nicht verwertbare Spuren, auch damals Abdrücke
auf dem Fahrrad, die keine Entsprechung fanden, und
die Suche nach einem roten Kleinwagen, die zu nichts
führte. Der Junge, der den Wagen gesehen hatte, konnte
die Automarke nicht benennen.
Hunderte roter Kleinwagen, die in Frage kamen.
Hunderte von ergebnislosen Vernehmungen. Joentaa
spürte zwischen den Zeilen die Hoffnungslosigkeit der
befragenden Ermittler. Eine interne Notiz warf schließ-
lich die Frage auf, ob der Junge überhaupt als zuverlässi-
ger Zeuge gelten konnte, und gab zu bedenken, dass der
Kleinwagen, wenn es ihn denn gab, keineswegs dem
Täter gehört haben musste.
Joentaa fuhr sich mit den Händen über das Gesicht
und spürte die Müdigkeit, von der er wusste, dass sie
nicht mehr da sein würde, sobald er sich schlafen legte.
Er schaltete den Fernseher ein. Auf dem Bildschirm
saß Ketola nach vorn gebeugt auf einem Stuhl und
sprach eindringlich mit dem Moderator einer Talkshow.
Joentaa blieb einige Sekunden stehen, dann ließ er
sich auf das Sofa fallen, ohne den Blick vom Bildschirm
zu nehmen. Er brauchte eine Weile, um sich auf den In-
halt von Ketolas Rede zu konzentrieren. Der Moderator,
Kai-Petteri Hämäläinen, nickte die ganze Zeit, als be-
greife er alles. Neben Ketola saß Pias Mutter, Elina Leh-
tinen.
Joentaa schoss durch den Kopf, dass vermutlich halb
Finnland jetzt zusah. Hämäläinen war der neue Star
unter den einheimischen Entertainern. Er hatte ur-
sprünglich große Sport-Ereignisse kommentiert, war
dann erfolgreich in die Unterhaltung gewechselt und
hatte mit dem erst kürzlich gestarteten Talk-Format
einen Volltreffer gelandet.
Joentaa betrachtete Hämäläinen, Ketola und Elina
Lehtinen, und es gelang ihm einfach nicht, sich auf die
Worte zu konzentrieren, die sie wechselten. Ketola auf
dem Bildschirm, und Elina Lehtinen, der er noch am
Vormittag gegenüber gesessen hatte ... deshalb hatte
Ketola mit ihr sprechen wollen ... wegen eines kurzfris-
tigen Auftritts in einer TV-Show. Aber was sollte das
Ganze?
»Natürlich muss er damit rechnen, dieses Mal gefasst
zu werden. Und ich gehe so weit zu fragen, ob er das
vielleicht sogar will ... auf eine bestimmte Weise ...«,
sagte Ketola. Hämäläinen nickte. Elina Lehtinen saß in
sich gekehrt und sah blass aus, ganz anders, als am Vor-
mittag in ihrem Haus.
»Ich will ... ich möchte fast an den Mann appellieren,
diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Sich einfach zu
offenbaren, in welcher Weise auch immer ...«, sagte Ke-
tola. Die Kamera fuhr nah an ihn heran, bis sein Gesicht
fast den Bildschirm ausfüllte. Er schwitzte, sein Gesicht
wirkte noch kantiger und konturierter als sonst, ver-
mutlich weil er geschminkt war. Er trug ein dunkelgrü-
nes Jackett und wirkte gleichzeitig aufgeregt und ruhig.
Joentaa konnte es nicht genau benennen.
Was Ketola sagte, wirkte wohl überlegt, und er ver-
suchte, Ruhe auszustrahlen, ruhig zu sprechen. Aber es
war, als würde er von seiner eigenen Stimme vorange-
trieben, er sprach immer schneller und lauter und sackte
wie erschlagen in sich zusammen, wenn er einen Ge-
danken zu Ende formuliert hatte.
Zwischenzeitlich richtete sich Hämäläinen an Elina
Lehtinen, die leise und klar beschrieb, wie sie mit dem
Tod ihrer Tochter lebte. Hämäläinen nickte. Ketola at-
mete tief ein und aus und blickte zu Boden und Joentaa
spürte Elina Lehtinens Worte wie Schneeflocken, die
eine Weile kühlten, bevor sie
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