Das Schweigen
und ging über den
frisch gemähten Rasen auf die Bäume zu.
Schritt für Schritt.
Er stieg in den Wagen und fuhr los. Der Schmerz hing
im rechten Knöchel und in der rechten Schulter.
Pärssinens Fenster war von Jalousien verdeckt, und der
Junge hielt noch die Schaukel in der Hand.
3
Kimmo Joentaa hatte weder Sundström noch Ketola
jemals so erlebt. Sundström schrie. Nach jedem Satz
schlug etwas auf dem Tisch oder dem Boden auf. Ver-
mutlich ein Aktenordner oder etwas Ähnliches, dachte
Joentaa. Ketola schwieg. Kein Wort von ihm.
Heinonen starrte angestrengt auf seinen Computer-
bildschirm, Grönholm aß ungerührt ein Frühstücks-
brötchen. Joentaa versuchte, durch die verschlossene
Tür zu Sundströms Büro zu hören, was Ketola sagte,
aber da war nichts. Je lauter Sundström schrie, desto be-
harrlicher schien Ketola zu schweigen.
Irgendwann kam Ketola aus dem Raum. Er wirkte
fast entspannt. Er lächelte. Im Hintergrund stand Sund-
ström mit verzerrtem Gesicht vor seinem Schreibtisch.
»Kommst du mal mit, Kimmo?« sagte Ketola und war
schon auf dem Korridor. Grönholm zog eine
Augenbraue nach oben, Heinonen nahm den Blick
nicht vom Bildschirm, und Joentaa folgte Ketola auf
den Flur.
Sie gingen schweigend, fuhren im Aufzug ins Erd-
geschoss und setzten sich an einen Tisch in der Cafe-
teria. Ketola holte sich einen Kaffee. Er lächelte nicht
mehr, und Kimmo hatte den Eindruck, dass er keines-
wegs entspannt war. Eher angespannt, aufgekratzt und
müde.
Ketola rührte eine Weile in dem Kaffee herum, Joen-
taa sah, dass seine Hand zitterte. Dann hob er den Blick:
»Tut mir leid«, sagte er. »Ich hätte das mit euch abspre-
chen sollen.«
»Ja«, sagte Joentaa.
»Aber ich bin Privatmann. Ich kann tun und lassen,
was ich will.«
»Sicher«, sagte Joentaa.
»Hämäläinens Redaktion hat mich angesprochen, und
ich habe zugesagt.«
Joentaa nickte.
»Weil ich sofort wusste, dass es das Richtige ist. Ich
weiß es einfach«, sagte Ketola.
»Was ist das Richtige?« fragte Joentaa.
»Ich möchte dich etwas fragen, etwas Wichtiges«,
sagte Ketola. »Hältst du es nicht für möglich, dass ich
hier ausnahmsweise mal richtig liege?«
»Was meinst du?« fragte Joentaa, obwohl er ahnte,
worauf Ketola hinaus wollte.
»Dass der Mann zurückgekommen ist ... dass es etwas
bedeutet, verstehst du?«
»Was genau meinst du?«
»Ich meine, dass wir jetzt die Möglichkeit haben, ihn
... ich meine, dass er ... jetzt sieht, was passiert ... vielleicht hat er das Interview gesehen ...«
Joentaa nickte.
»Er ... er hat es wieder in Bewegung gebracht«, sagte
Ketola. »Ganz einfach. Es bewegt sich wieder. Nach drei-
unddreißig Jahren.«
»Du vergisst, dass wir Sinikka Vehkasalo noch nicht
gefunden haben«, sagte Joentaa.
Ketola rührte in seinem Kaffee.
»Vielleicht ist sie noch am Leben.«
Ketola schüttelte den Kopf.
»Vielleicht trägt dein Auftritt dazu bei, dass er
Sinikka tötet. Weil er Angst hat, weil er sich bedroht
fühlt.«
»Quatsch«, sagte Ketola leise.
»Warum ist das Quatsch?« fragte Joentaa.
Ketola sah ihn lange an. »Weil das Mädchen tot ist«,
sagte er schließlich. »Ganz einfach. Wir suchen einen
Mörder, keinen Entführer.«
»Aber ...«
»Aus! Ende!« Die stechende, unterschwellig aggres-
sive Stimme, die Joentaa so oft gehört hatte. »Ich habe
gesehen, was von Pia Lehtinen übrig war. Wir müssen
uns über Sinikka Vehkasalo keine Gedanken mehr ma-
chen«, sagte Ketola. Er hatte sich aufgerichtet und fi-
xierte Joentaas Augen. »Verstehst du?«
Joentaa schwieg.
»Was anderes«, sagte Ketola, plötzlich wieder ruhiger.
»Habt ihr schon nach möglichen Parallelfällen gesucht?
Vermisste oder getötete Kinder in den vergangenen
dreiunddreißig Jahren?«
»Natürlich. Grönholm und Heinonen sind damit be-
schäftigt«, sagte Joentaa.
»Noch nichts Näheres?«
»Heute Mittag tragen sie ihre Ergebnisse vor.«
Ketola nickte. »Ich weiß, dass in den Jahren danach
nichts Vergleichbares passiert ist«, sagte Ketola. »Zu-
mindest nicht in Turku. In den ersten Jahren hat mich
das beschäftigt, ich habe das verfolgt. Wir alle haben das verfolgt. Aber irgendwann war die Sache natürlich
vergessen. Und die Vernetzung war auch noch nicht wie
heute ... Computer und den ganzen Mist gab es gar
nicht ... und die ersten Kisten, die wir dann später hat-
ten, waren ja zum Totlachen ... ich selbst war nur noch
einmal mit einer solchen
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