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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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war der Text, den er suchte ... Tuomas Heinonen
    hatte ihn geschrieben, und er war kein Protokoll, son-
    dern die Zusammenfassung mehrerer Gespräche, die
    Heinonen geführt hatte und die mehr oder weniger
    wichtige, möglicherweise noch zu klärende Fragen auf-
    geworfen hatten ... eine Freundin berichtete von einem
    Geburtstagsfest... Joentaa las die Aussage einmal und
    noch einmal und noch einmal und je länger er las, desto
    weniger begriff er, was daran so wichtig sein sollte ... er hatte sich geirrt... es war etwas anderes ... es ging gar
    nicht um den Text.
    Er blätterte um und sah eine Notiz in Heinonens
    glasklarer Schrift, ganz anders als das Gekrakel von Ke-
    tola ... klar und deutlich, ein Wort und eine Zahl.
    Joentaa riss die Seite heraus und las das Wort und die
    Zahl und hatte keine Ahnung, was es bedeuten sollte.
    Er verharrte Minuten lang reglos.
    Dann stand er auf und verließ das Haus.
    Er verstand es nicht, verstand gar nichts mehr, aber er
    spürte eine unbestimmte Angst.
    Und eine ganz bestimmte Hoffnung.

    17

    »Komm doch rein, Kimmo«, sagte Ketola.
    Er schien über Kimmos Besuch nicht überrascht zu
    sein, obwohl es bald drei Uhr in der Nacht war. Die
    Häuser hatten wie tot zu beiden Seiten gestanden, als
    Kimmo durch die Stadt gefahren war.
    Er folgte Ketola ins Wohnzimmer. Die Terrassentür
    war geöffnet.
    »Ich sitze draußen. Es ist ein warmer Abend«, sagte
    Ketola und suchte seinen Blick, als wolle er sich
    Joentaas Zustimmung versichern.
    Joentaa nickte.
    Sie saßen auf der Schwelle zwischen Nacht und Mor-
    gen in Gartenstühlen und schwiegen.
    Ketola hatte eine Hand auf das Modell gelegt, das in-
    zwischen wieder auf seinen Rädern ruhte. Das Feld, die
    Straße, die Allee, das Fahrrad, das rote Auto.
    Auf dem Tisch stand ein mit Himbeeren und Kiwis
    garnierter Schokoladenkuchen.
    »Magst du ein Stück?« fragte Ketola.
    »Nein, danke«, sagte Joentaa und beugte sich nach
    kurzem Zögern über den Tisch, weil ihn die
    Anordnung der Himbeeren irritierte.
    »A und K«, sagte Ketola. »Antsi Ketola. Der Name
    des Geburtstagskindes.«
    »Ach so«, sagte Joentaa.
    »Hat mein Sohn gebacken«, sagte Ketola.
    Sie schwiegen wieder, und Joentaa wartete auf den
    Impuls, auszusprechen, was er noch nicht zu Ende ge-
    dacht hatte.
    Ketola schien sich in der Stille wohlzufühlen.
    Kimmo sagte: »Sinikka Vehkasalo.«
    Ketola hob den Blick. »Sinikka Vehkasalo«, erwiderte
    er.
    »Sie hat eine Geburtstagsfeier besucht. Vor einigen
    Monaten. Eine Freundin hat etwas darüber gesagt, und
    Heinonen, du kennst ihn ja, hat in seiner gründlichen
    Art den Ort notiert, an dem dieses Fest stattgefunden
    hat, die Adresse, obwohl es nicht weiter wichtig zu sein
    schien.«
    »Ja, ja, Heinonen ...«, sagte Ketola.
    »Oravankatu 20. Das ist das Haus gleich nebenan.
    Das sind deine Nachbarn.«
    »Ach ...«, sagte Ketola.
    Sie schwiegen lange.
    »Sinikka ist während der Feier plötzlich weggewesen«,
    sagte Joentaa schließlich. »Nach einer Weile ist sie
    zurückgekehrt und wirkte verändert. Als sei etwas Be-
    deutsames passiert. Sie hat aber selbst ihren Freundin-
    nen nicht verraten, was es gewesen ist. Sie hat es be-
    wahrt wie ein wichtiges Geheimnis.«
    »Tja ...«, sagte Ketola.
    »Sie ist hier gewesen. Bei dir. Warum? Was ist an
    diesem Tag passiert?« fragte Joentaa.
    »Nichts«, sagte Ketola.
    »Nichts?«
    Ketola nickte.
    »Ist sie hier gewesen?« fragte Joentaa.
    »Ja. Natürlich.«
    Natürlich, dachte Joentaa. Natürlich.
    »Warum?« fragte er.
    »Frag mich was Leichteres«, sagte Ketola.
    »Warum?« wiederholte Joentaa.
    »Ich weiß es nicht.«
    Joentaa wartete.
    »Ich saß auf der Terrasse. Wie jetzt. Die Mädchen
    sind im Garten rumgerannt und sogar ins Schwimmbad
    gesprungen, obwohl es saukalt war. Und dann hat es an-
    gefangen zu regnen. Alle sind ins Haus gegangen, bis auf
    Sinikka. Sinikka ist über den Zaun gesprungen und zu
    mir auf die Terrasse gekommen.«
    »Warum?« fragte Joentaa.
    »Warum ... ich weiß es wirklich nicht... sie wusste,
    dass ich bei der Polizei gearbeitet habe, das hat ihr wohl die Tochter der Nachbarn mal erzählt ... vermutlich war
    sie irgendwie neugierig. Und sie fragte, warum ich trau-
    rig sei.«
    »Was?«
    »Komisch, nicht? Habe ich auch gedacht. Ein Mäd-
    chen im Alter von Pia Lehtinen ... steigt über den Zaun
    und stellt mir sinnlose Fragen ...«
    »Und dann?«
    »Was dann?«
    »Was ist danach passiert?«
    »Ich habe in meinem Stuhl gesessen, etwa wie

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