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Das schweigende Kind

Das schweigende Kind

Titel: Das schweigende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Schrott
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jedoch nicht das Gefühl von Zufriedenheit, das in mir aufzusteigen begann. Meine Pflicht war getan, und ich erwartete, den Adressaten meiner Arbeit jeden Moment auf die Terrasse treten zu sehen – einen Händedruck, Worte des Dankes und den Blick auf mein Werk, in diesen schweigenden Minuten, in denen nichts anderes mehr zu existieren scheint als Farbe und Form, die auf Karton gezogenen Blätter aneinanderschabend und vorsichtig von Fingerspitzen gehalten, einige wenige Erläuterungen dazu, Fragen, um dann darauf anzustoßen und zu einem festlich gedeckten Tisch geführt zu werden, zuvor der versprochene Gang in den Weinkeller.
    Voller Elan schritt ich auf die beiden zu und wurde begrüßt. Der Verleger rieb seine Wange an meiner, anders als in Frankreich gleich dreimal, Kim drückte mir verstohlen den Arm, und damit begannen endlich diese viel zu seltenen erfüllenden Stunden, bevor die Befriedigung über einmal Geleistetes wieder in das Bewusstsein um das eigene Ungenügen übergeht. Ich erzählte, wie anstandslos sich die Formalitäten hatten erledigen lassen, den Zwischenfall aussparend, damit nichts die gute Stimmung störe, griff durstig nach dem Glas Weißwein, das mir eingeschenkt wurde, ohne den Alkohol zu merken, und ließ meinen Blick über die Rebhänge schweifen – jetzt war der Verleger am Zug. Etwas Zeremonielles haftet der Übergabe von Bildern und dem Aushändigen des Honorars stets an, und dem überließ ich mich nun gerne.
    …ein Kompositionsstudium hat er immerhin abgeschlossen, hörte ich den Verleger seinen Satz vollenden. Aber er muss erst beweisen, dass er auch auf der Klaviatur der Politik zu spielen versteht. Verlauten ließ er jedoch nur, dass er an einer Oper über Dädalus arbeite: serielle Musik, Sie verstehen. Es mag ja löblich sein, sich bislang in Skalen, nicht in Skandalen geübt zu haben – doch ohne die nötige Gewandtheit bei Letzterem lässt sich so ein Land nicht regieren. Man kommt hier nur als Realist weiter; dieses Land hat schließlich seine Unabhängigkeit mit anderen Urnen als Wahlurnen bezahlt. Es sieht sich deshalb zumindest als regionale Großmacht, wobei keiner das Wort ›Balkan‹ in den Mund nimmt. Und dass dies einmal ein Vasallenstaat der Nazis war, wird genauso wenig angesprochen – man redet lieber über die Knechtschaft unter den Serben oder die Übergriffe der Magyaren, um sich als Patriot zu zeigen. Dabei bleiben sie alle kleinkarierte Provinzler, die sich gerne in der EU sähen, ohne zu den dafür notwendigen Zugeständnissen bereit zu sein. Nichts als ein Zollschutzgebiet ist das hier, eine Freihandelszone, ein Territorium unbestimmten Zustandes, von dem man lediglich weiß, dass es keine Zukunft hat. Und das befördert nun mal die Korruption, die sich letztlich aus der Diskrepanz zwischen realer Bedeutungslosigkeit und illusionärem Anspruch ergibt – sie bewirkt eine Megalomanie von Möchtegerns, Emporkömmlingen, die sich ihren Reichtum erschmuggeln, um sich dann als Mäzene auszugeben. Sie müssen sich davon nicht betroffen fühlen, meinte er, zu mir gewandt: Sie werden ihm ja bald selbst begegnen, unserem jüngsten Landesvater…
    Auf dem Hang gegenüber zog ein Traktor eine Egge übers Feld. Aus den Augenwinkeln sah ich Kim, wie sie seinen Worten aufmerksam zu lauschen schien. Es war selten genug, dass sie sich so lange betrachten ließ – bis sie es merkte, die Augen verdrehte und mich zum Lächeln brachte.
    Langweile ich Sie?, fragte der Verleger Kim und rief, den Kopf zum Haus gedreht, nach Milan, der telefonierend im Garten stand. Wir warten ja mittlerweile schon eine ganze Weile auf Milans Bruder – über den ich von ihm nur abschätzige Anekdoten höre. Für ihn wird Dušan selbst als Präsident stets bloß der kleine Bruder bleiben. Alles nur, weil Milan selbst am Krieg teilgenommen hat, unser Sergeant, sagte er, mich mit schmalen Augen musternd. Obwohl Milan sich nie darüber auslässt; mehr als ein Wochenend-Krieger, wie sie hier heißen, wird er aber nicht gewesen sein. Milan!, rief er ein zweites Mal, ein paar Sätze, die ich nicht verstand, hinterherschickend. Auch ich werde langsam ungeduldig, meinte er achselzuckend und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte.
    Dušan ist nicht weit von hier geboren, in Karlovac – das müsste Sie interessieren, meinte der Verleger zu Kim. Die Hotelanlagen, die Sie entwerfen – wenn ich Sie recht verstanden habe –, stellen letztlich ebenfalls eine Art von idealen Städten dar. Nur

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