Das Schwein - Ein obzoener Thriller
hinunterschluckte.
»So was mache ich doch ständig!«, quäkte sie, danach eilte sie ins verschimmelte Badezimmer, um sich zu übergeben.
Das war der Löwenanteil von Leonards Pflichten. Was er schon immer gewollt hatte: den Stuhl des Regisseurs. Aber es war auch sein Job, das gedrehte Material zu verarbeiten und dann den »Final Cut« anzufertigen, der auf das 16-Millimeter-Master gebannt wurde, das Rocco anschließend abholte und zur Vervielfältigung in ein Labor brachte. Etwa drei Viertel von dem, was Leonard filmte, schnitt er später wieder heraus. Mit der großen Sankyo-Schneidemaschine reduzierte Leonard Aberhunderte Meter von Rohmaterial auf knackige 20 bis 30 Minuten. Leonard war stolz auf seine Arbeit beim Schnitt und sehr gut darin. Was machte es schon, dass es sich um Tierpornografie handelte? Der Job sollte trotzdem professionell erledigt werden , redete er sich ein, und es war ja nicht so, als hätte er irgendwas Besseres zu tun.
Es war eines Nachts während einer dieser Schneidesessions, als Leonard eine s ehr alarmierende Entdeckung machte …
»Oh mein … Gott!«, murmelte er. Leonard hielt das Bild an und blinzelte. Er starrte intensiv auf die helle 23-mal-28-Zentimeter-Leinwand von Sankyo. Was ich da gerade gesehen habe, war das etwa ein …
Er blinzelte erneut, sein Verstand schlug Purzelbäume.
Auf der Leinwand erstrahlte eine prachtvolle grüne Landschaft mit sanft geschwungenen Hügeln – die Hügel befanden sich genau genommen draußen direkt hinter dem Haus. Der Eselporno, den Rocco diese Woche geordert hatte, war im Kasten – vor allem auf Kosten der Hände und Knie von Sissy und Snowdrop. Danach war Leonard nach draußen gegangen, um ein wenig Material für den Vorspann zu drehen. Auch Tierfilme verdienten eine nette Verpackung: sanft geschwungene grüne Hügel und am Horizont eben noch erkennbar ein Streifen Ackerland. Aber jetzt, wo er das Material in der Schneidemaschine hatte, fiel ihm Folgendes auf:
Am äußersten linken Bildrand konnte er das Gesicht einer Frau erkennen, die über eine seit Ewigkeiten nicht mehr gebändigte Nesselhecke spähte.
»Sehe ich jetzt schon Gespenster oder ist das da ein Gesicht im Bild?« Plötzlich fühlte sich Leonard wie der trostlose Fotograf in Blow Up .
»Oh Mann«, dachte er. Ein Eindringling hatte sich unbemerkt in seine Außenkulisse geschlichen. Gott sei Dank verfügte die Sankyo über einen Hitzeschutz. Er ließ das Bild eingefroren an der Wand stehen, dann nahm er das winzige, unscharfe Gesicht hinter der Hecke mit einem Leica-Vergrößerungsglas unter die Lupe. Ein schönes Gesicht, so viel stand fest, oval und beinahe engelsgleich mit strahlenden, wissbegierigen grünen Augen. Worauf sich Leonard allerdings keinen Reim machen konnte, war das Ding, das sie auf ihrem Kopf trug: kein Hut, eher so etwas wie eine weiße Baumwollhaube, die unter ihrem Kinn festgebunden war. Wie etwas, das eine Pilgerin tragen würde.
Er blinzelte weiter, seine Zähne knirschten, während er sich auf das Motiv konzentrierte, und genau in diesem Moment gab der Hitzeschutz der Sankyo seinen Geist auf. Der Frame verdunkelte sich, warf Blasen und verbrannte.
Dann war das Bild verschwunden.
»Ja, ich sehe wohl Gespenster«, versuchte er sich selbst zu überzeugen. Es war einfacher, sich in diesen Glauben zu flüchten, obwohl er tief in seinem Herzen vermutete, dass es mehr als nur eine Fantasie war. Wer mochte diese Person sein und was hatte sie dort zu suchen?
»Nein. Ich bin kurz vorm Verhungern, ich bin müde und ich werde seit Monaten als Gefangener gehalten. Es war nur eine Halluzination …«
Gut. Aber eine Sache störte ihn doch. Diese merkwürdige, zusammengebundene Haube, welche die Halluzination auf ihrem Kopf trug. Ja, die sah in der Tat aus wie etwas, das eine Pilgerin tragen würde.
Oder vielleicht eine Epiphanierin.
Manchmal waren Perversitäten gefragt. Diese beinhalteten keine Tiere, sondern eine extreme Art der menschlichen Beteiligung. Manchmal waren die Menschen Mafiakumpel von Rocco, manchmal waren es verwahrloste Freaks oder »Stunt-Schwänze«, entweder bezahlt oder auf andere Weise zur Teilnahme an den filmischen Festivitäten genötigt.
Eines Nachts marschierte Rocco mit allen zehn Mitgliedern seiner Crew ein. »Heute Abend ist das Champagner-Special dran, Kleiner. Hol deine Kamera.« Ein Champagner-Special, ja, aber es waren weit und breit keine Flaschen mit Perrier-Jouet im Spiel. Stattdessen trieben es die Mitglieder der
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