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Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)

Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Caldwell
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ganzen Umgebung. Hätte es sonst noch jemanden getroffen,wäre es nicht nur beiläufig erwähnt, sondern herausposaunt worden. Am bedeutsamsten aber war, dass nicht einmal ihr Mann ihr von irgendwelchen »Erscheinungen« berichtet hatte.
    Ihr nächster Gedanke war, sie könnte diese Geisterbilder nicht länger nur als Absonderlichkeiten der Grafschaft Kerry mit ihren ewig wechselnden Schatten abtun, die ohne jede Vorwarnung die Unterschiede zwischen Wirklichem und Unwirklichem verwischten. Das war Brid; das war Taddy, wie Maude McCloskey sie genannt hatte. An ihren Hälsen trugen sie die Male von dem einschneidenden Strick. In ihren Gesichtern zeigte sich der Verlust, mit dem sie sich wohl abgefunden hatten, ein Kummer, dessen Ursache sich in ihr Herz gebrannt hatte, dort gehegt und gepflegt wurde, bis einmal ein Ritual gefunden wurde, das sie wieder vereinigte und ihnen Frieden verhieß oder wenigstens eine Rast von dem ewigen Umherwandern, das ihnen nun auferlegt schien. Kitty beschloss, weiter nach oben an die frische Luft zu steigen. Während sie auf Land und Meer schaute, würde sie ihre Gemütsverfassung prüfen, könnte sie diesen Angriff auf ihre bisherige Überzeugung durchdenken, die – ob nun mit oder ohne Nebel – darin bestand, dass es solche Wesen wie Geister nicht gab, ebenso keine Kleinen Leute, keine Kobolde, keine Königreiche oder Schlösser der Unterwelt, keine Kinder, die gestohlen wurden, keine raubgierigen Bestien, die zuschlugen, einen packten, verschleppten und einsperrten. Sie wollte sehen, wie sich Brid und Taddy, wenn es überhaupt eine Brid und einen Taddy gab, verhielten, wenn sie durch ihr ureigenstes Reich schritt. Würden sie einfach verschwinden? Oder würden sie sie vielleicht sogar ergreifen, sie auf die Plattform oben schleifen und über die Brüstung stürzen, weil sie in diese Welt eingedrungen war, in der man sie verraten hatte? Es gab nur einen einzigen Weg, das herauszufinden.
    Kitty durchquerte den Raum, als gäbe es dort nichts Außergewöhnliches. Brid und auch Taddy kamen ihren Beschäftigungen nach. Bevor sie auf die Stufen trat, die nach oben auf den Turm führten, schaute Kitty noch einmal verstohlen zurück, wollte sich vergewissern, ob die beiden noch da waren. Und sie waren noch da, Brid saß am Webstuhl, Taddy hielt die Harfe. Ihre Gegenwart kümmerte sie nicht.
    Die Falltür am Ende der engen Treppe klemmte wie üblich. Kitty stieg so hoch, dass sie mit eingezogenem Kopf und flachen Händen gegen die Bretter drücken konnte. Angetrieben von dem Bestreben, ins Freie zu gelangen, nahm sie alle Kraft zusammen und stemmte sich nach oben, Kopf und Hände, Rückgrat und Beine einzig und allein darauf konzentriert. Die Falltür konnte nicht anders, sie musste nachgeben.
    Kitty kletterte hinaus und lehnte sich an die Brüstung. Sinnend blickte sie aufs offene Meer im Südwesten. Doch über Maggie Tulliver and Mary Ann aus der
Mühle am Floss
schoben sich Brid und Taddy. Und Kitty war ihre einzige Augenzeugin. Selbst die Seherin hatte sie nicht ausmachen können, obwohl sie nach Kittys Beschreibung gewusst hatte, wer sie waren. Nämlich die jungen Geiseln, die man vor zweihundert Jahren aufs Geratewohl zum Tod durch Erhängen ausgewählt hatte, um die Pulverschwörung aufzudecken. Manche glaubten, es habe überhaupt keine Verschwörung gegeben, andere waren vom Gegenteil überzeugt. Jedenfalls startete eine monatelange Suche mit einer Intensität, die zwischen zwanghaftem Trieb und roher Brutalität angesiedelt war. Die Burg wurde praktisch auseinandergenommen, Äcker und Wiesen wurden umgepflügt, Grenzwälle zerstört und riesige Findlinge umgewälzt, doch der Sprengstoff wurde nicht gefunden. Als das rigorose Vorgehen schließlich endete, hatten die Hinrichtungen längst stattgefunden, und da man auf Beweise verzichtete, nahmdie Gerechtigkeit ohne weiteren Einspruch ihren Lauf. Die Geister der Gehängten blieben sich selbst überlassen – falls man ihnen nicht sogar ausdrücklich gestattet hatte zu bleiben. Aber zu welchem Zweck? Zu spuken, Leute so zu erschrecken, dass ihnen die Haare weiß oder sie um den Verstand gebracht wurden? Soweit Kitty es einschätzen konnte, wollten sie keine Rache üben. Sie hatten nichts kaputt gemacht. Sie waren – vorsichtig gesagt – sehr wählerisch mit dem Zeitpunkt, wann sie sich zeigten. Kitty McCloud schien den alleinigen Anspruch auf diese Ehre zu haben – oder auf den Fluch.
    Der Fluch. Bestand er nur im Erscheinen dieser

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