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Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)

Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Caldwell
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Unschlüssigkeit amüsierte.
    Nun war es Kitty, die ein par Krumen Erde über eine der Furchen schob, sie trat sie jedoch nicht fest. Jetzt oder nie. Sie hob den Kopf und schüttelte ihn leicht von einer Seite zur anderen, damit ihr das Haar einigermaßen geordnet auf die Schultern fiel. Wenigstens das bisschen konnte sie tun, um Ordnung in die Welt zu bringen. Kieran, der sie unverwandt ansah, wartete darauf, dass sie etwas sagte. Was sie ihm zu eröffnen gedachte, würde die reine und ungeschminkte Wahrheit sein. Aber zuerst wollte sie mit ihm auf den Turm steigen und ihm dann gestehen, was sie gesehen hatte, würde ihm von Brid am Webstuhl erzählen und von Taddy mit der Harfe. Dann sollte er sich ein Urteil bilden, ob sie verrückt geworden war.
    »Könntest du mitkommen? Ich möchte dir etwas zeigen, dir etwas verraten.« Kieran schwieg zunächst, dann nickte er.
     
    Sie gingen über die Galerie, die zur Treppe führte. Da hörten sie hoch über sich Harfentöne. Sie blieben stehen und wandten sich einander zu. Kitty hob die rechte Hand, als wollte sie ihr Ohr bedecken. Kieran holte tief Luft und atmete betont langsam aus. Sie verhielten sich mucksmäuschenstill. Wie viele Augenblicke so vergingen, war nichtzu zählen. Die Harfe spielte weiter, jemand zupfte eine Melodie, so wehmütig, dass sie jeden aufforderte, still zu sein, während sie die ganze Halle mit ihrem Klagen füllte. Bald anschwellend, bald in sich zusammensinkend, beschwor die Melodie eine Sehnsucht herauf, die in die weite Welt strebte auf der Suche nach Erfüllung, nach der Wiederkehr von etwas für alle Zeiten Verlorenem.
    Die Harfe schien die sinkende Sonne hinter einer Wolke hervorgerufen zu haben. Die Halle war von rosenfarbenem Gold überflutet, das den düsteren Wänden Bernsteinglanz verlieh, das stumpfe Eisen des mit vielen Kerzen bestückten Kronleuchters zum Blinken brachte und sowohl Kitty als auch Kieran verwandelte. Jeder sah den anderen wie eine von innen strahlende Erscheinung, jeder sah für eben den Moment ein Abbild des wahren Selbst des anderen, unschuldig und rein wie am Tag der Schöpfung, eine Vision, wie sie sonst keinem Sterblichen vergönnt war. Die Musik schwoll an, das sehnsuchtsvolle Verlangen wurde zu einem schier unerträglichen Schmerz, der die Gewissheit barg, nie zu verebben, die mit Ergebenheit erduldeten Leiden jenseits aller zeitlichen Vorstellungen andauern zu lassen, selbst über die große Stille hinaus, jenseits derer alles verstummte.
    Lange vermochten sie den Anblick dieses Erscheinungsbilds voneinander nicht zu ertragen, und so wandten sich beide um und schauten hinunter auf den Hof. Als ob es Mitleid mit ihnen empfand, brach das Lied mitten im Takt ab. Und auch die Sonne, zufrieden mit ihrem Schabernack, zog sich zurück. Einige letzte Strahlen drangen noch oben und unten über die Wolkenränder, trafen die Höhen der Hügelketten und auch den Hof.
    Und dort stand das Schwein, mit dem Messingring in der Schnauze, der es daran hinderte, die frisch angelegten Beete umzuwühlen, und stierte zu ihnen hinauf.
    »Das Schwein«, sagte Kieran.
    »Ja«, sagte Kitty, »das Schwein.«
    Bei ihren Worten kehrte ihnen das Borstenvieh seine Hinterbacken zu und trottete geschwind an seinen Trog. Laute, die nur einem schmatzend und schnaufend fressenden Schwein gestattet waren, fanden ihren Weg nach oben. »Los, geh du voran«, sagte Kitty schließlich.
    Sie stiegen die steinerne Wendeltreppe hoch, vorbei an Kittys Schreibtisch, bis zum ersten Absatz. Sie überlegte, ob sie ihm einen Einführungsvortrag halten sollte, bevor sie bis ganz nach oben gelangten, ob sie Kieran andeutungsweise darauf einstimmen sollte, was er zu hören bekommen würde. Sie könnte ihn so vielleicht vorwarnen, sich jeden Urteils darüber zu enthalten, ob sie in einer Burg leben könnte, ohne dass ihre Phantasie überwältigt wurde von uralten Sagen und den immer wieder erzählten Geschichten. Doch sie beschloss, damit noch zu warten.
    Eigentlich müsste er bereits eine gewisse Vorahnung haben. Die Harfe hatte zu seelenvoll geklungen, als dass ein zurückgekehrter Hausbesetzer sie gespielt haben könnte, aber auch zu menschlich, als dass sich vermuten ließe, Engel hätten sich eingemischt.
    Möglicherweise würden sich Brid und Taddy dort zeigen. Vielleicht würde Kieran sie sogar sehen. Waren Kieran und sie nicht vereint in Herz und Sinn? Diesen Gedanken empfand Kitty als zu vielschichtig und zu verwirrend und ließ sich lieber nicht darauf

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