Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)
nackt und bloß, das wurmstichige Holz abgenutzt und im Laufe der Zeit grau geworden, das Trittbrett glatt geschliffen von der Berührung ungezählter Füße. Sie wusste, sie würde auch die kleine saitenlose Harfe sehen, eine von der Art, wie man sie sich mit einer Hand gegen den Leib gedrückt hielt und mit der anderen die Saiten zupfte. Die Wirbel zum Spannen der Saiten waren noch da, jeder wies in eine andere Richtung wie schief gewachsene Zähne. Sie hatte sich schon gefragt, ob die sich wieder ausrichten ließen, wenn der Harfe neue Saiten aufgezogen würden. Das Instrument lag auf einem einfachen Schemel, dessen Holz nie einen Farbanstrich oder sonst eine Oberflächenbehandlung erfahren hatte. Wurmlöcher, wie die im Rahmen des Webstuhls, ließen erahnen, wie unvorstellbar viele Jahre darüber hinweggegangen waren.
Zum ersten Mal hatte es Kitty beim Anblick von Harfe und Webstuhl gereizt, die Harfe aufzunehmen und den Webstuhl auszuprobieren, zu versuchen, ob der Tritt sich bei der Berührung mit ihrem Fuß bewegen würde. Doch ihre nächste Regung war, nichts anzutasten. Diese Gegenstände waren nicht von den Hausbesetzern zurückgelassen worden, sie waren uralt und etwas Heiliges in diesem Raum. Seither, wenn sie beim Aufstieg zur Brustwehr oben daran vorbeiging, hatte sie dem Staub Ehrfurcht gezollt und war weitergegangen, genauso wie Kieran, wenn er auf den Turm stieg.
Auch an diesem Tag, an dem sie mit dem Schreiben überhaupt nicht vorankam, nahm Kitty die letzte Windung der Treppe und betrat den Absatz. Ohne auf ihre Gegenwart im mindesten zu achten, arbeitete Brid am Webstuhl, ihre schmutzigen nackten Füße bewegten den Tritt auf und ab. Ihr Rhythmus war ebenmäßig und ohne jede Anstrengung, Warenbaum und Kettbaum drehten sich. Der Tritt öffnete das Fach, und so konnte das Mädchen das Schiffchen zwischen die Kettfäden werfen – nur waren da gar keine Fäden.
Ebenso wurde überhaupt kein Tuch gewebt, doch das schien das Mädchen keineswegs zu stören. Während das Schiffchen über und durch die unsichtbaren Fäden flog, blieb Brid völlig ruhig und unbewegt. Taddy hielt die Harfe auf der linken Seite, hatte sie unters Kinn geklemmt, der Boden ruhte auf dem Oberschenkel. Langsam bewegte er seine rechte Hand über die Harfe, strich leicht mit den Fingern darüber hin; das Ganze wirkte umso graziler, da keine Saiten zum Zupfen da waren; die Fingerspitzen glitten nur durch die leere Luft.
Kitty sah ihn im Profil, sein Gesicht war regungslos, die Augen niedergeschlagen. Er lauschte. Wie auch Brid. Ob das Lied traurig oder glücklich klang, würde sie nie erfahren,aber aus den entrückten Mienen von Taddy und Brid schloss sie, dass Erinnerungen sie gefangen nahmen.
Kitty wusste, sie musste sich umdrehen und so leise wie möglich wieder nach unten gehen. Sie musste zurück an ihren Computer. Sie musste leugnen, was sie gesehen hatte, was sie eben sah. Oder sie musste überprüfen, wie ihre Psyche funktionierte, und entscheiden, ob sie noch normal oder schon irre war. Als Selbstschutz suchte sie nach einer Rechtfertigung für das Geschehen und wollte sich einreden, dass das alles gar nicht so unnatürlich war. Ihr ganzes Leben lang – die in Amerika verbrachte Zeit ausgenommen – hatte sie dieses Phänomen begleitet, Dinge erschienen aus den Nebelschwaden und verschwanden wieder: Das konnte ein Baum sein, der nur wenige Meter entfernt war, die Insel in der Bucht, die hohen Kämme der Berge, ja sogar jedes Schaf oder jede Kuh, die man eben noch hatte sehen können. Auf die Gebilde am Himmel war schon gar kein Verlass. Ihr eigenes Haus konnte verschwinden, nachdem sie gerade drei Schritte aus der Tür getreten war. Im Grunde genommen war sie auf die gegenwärtigen Erscheinungen hinlänglich vorbereitet. Und sie sträubte sich auch weniger dagegen, als sie es getan hätte, wäre sie anderswo geboren worden als auf diesem letzten Zipfel der westlichen Welt, wo die ewig aufsteigenden Nebel das Wahrnehmbare und das Nichtwahrnehmbare so dicht beieinander sein ließen. Geister zu sehen, konnte eine Gabe sein, die einem in Kerry schon bei der Geburt verliehen wurde. Sich dieser Gabe zu verweigern, war unmöglich. Sie hatte lediglich die Wahl, wie sie mit dieser Heimsuchung umgehen sollte. Die Entscheidung blieb noch zu treffen – besonders auch, weil sie nicht die geringste Ahnung hatte, weshalb gerade sie auserwählt war, wie es schien, niemand anders sonst, die Hausbesetzer nicht und auch keiner in der
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