Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)
zurecht, wollte Kitty aber nicht unterbrechen. Sie hatte ihm ausführlich erzählt, wie Kieran Brid am Webstuhl beobachtet hatte. Nun ging sie dazu über, von Taddy an der Harfe zu berichten.
»Er saß einfach da, Taddy, mein ich, die Harfe an sich gedrückt, die todtraurigen Augen niedergeschlagen, so tiefliegend, du denkst, du schaust in einen Brunnen. Er saß kerzengerade, die Füße berührten nur leicht den Boden, und niemand da, der ihm die schmuddligen Zehen wusch. Engelgleich, und doch mehr Mensch als Engel. Ein Engel könnte nie so traurig sein und doch nicht weinen. Dabei ist er kein gewöhnlicher Mensch wie unsereins, selbst wenn er nur noch der Geist eines Menschen ist. Kein gewöhnlicher Mann könnte so kräftig und gleichzeitig so zart sein. Sie hätten ihn sehen müssen, so, wie ich ihngesehen habe. Der arme Mann, gänzlich verloren, und ich die einzige lebende Frau, die seinen Kummer kennt. Nicht einmal Brid kennt ihn. Da bin ich mir ganz sicher. Brid muss fort. Taddy kann bleiben.«
Für die weiteren Gedanken und Bilder, die sie bewegten, fand sie keine Worte. Sie spielten sich nur vor ihrem inneren Auge ab, und sie behielt sie stumm für sich. Pater Colavin blieb verborgen, was sie sah. Er wartete, schurrte unruhig mit den Füßen unter dem Tisch hin und her, während Kopf und Hände ihre Position nicht veränderten. Als Kitty sich auf ihrem Stuhl bewegte und gekünstelt hüstelte, reagierte er mit einem leisen »Ich verstehe«.
Und er verstand tatsächlich, worum es ihr ging. Er begriff, weshalb Caitlin McCloud zu ihm gekommen war. Doch was von ihm erwartet wurde, hatte ihm bislang noch niemand angetragen. Sich jetzt darauf zu konzentrieren, würde nicht viel bringen. Das würde das Puzzle nur undurchsichtiger, die Situation undurchdringlicher machen. Er musste einen klaren Kopf bekommen, die Gehirnwindungen nicht unnötig verknoten. Zum Glück hatte er Rettung zur Hand. Er entkrampfte die Finger, löste die Handflächen voneinander und schob sie zum Hauptbuch. Bedächtig zog er es an sich heran. Er durfte seinem Kopf eine Ruhepause gönnen, durfte sich voll und ganz etwas anderem zuwenden, was rein gar nichts mit den Wahrheiten zu tun hatte, die man ihm eben offenbart hatte.
»Verzeih, Caitlin«, sagte er. »Verzeih die Unterbrechung, aber mir fiel da gerade ein …« Er fühlte sich nicht bemüßigt, genauer auszuführen, was ihm eingefallen war, zerrte das schwere Buch dicht zu sich und seufzte, als brauchte er diese Art Begleitmusik, um seine Gedanken von Kitty auf die Eintragungen im Hauptbuch zu lenken. Vielleicht verhalf ihm die Pause zu Eingebungen, wie sich Kittys Problem lösen ließ.
Mühsam schlug er den Einbanddeckel auf, und unter weiteren Seufzern und bedeutsamem Schütteln des weißen Hauptes wendete er Blatt um Blatt mit benetztem Finger und gab so Kitty eine Vorstellung von all den Zahlen, all den säuberlich geführten Spalten, die Zeugnis ablegten von der Last seines geistlichen Amtes. Nachdem er weitere Seiten und Spalten durchgegangen war – sorgfältig von oben nach unten und nicht ohne entsprechende Kopfbewegung, um die Mühen seiner Überprüfung zu unterstreichen –, seufzte er wieder und legte die rechte Hand auf eine Spalte voller Zahlen, als wollte er sie festhalten, damit die Eintragungen ihm nicht durcheinanderpurzelten, wenn er Soll und Haben abermals sorgenvoll durchging.
Kittys Unruhe steigerte sich. Sie befürchtete – und nicht zu Unrecht –, Dinge gesagt zu haben, die sie nicht hatte sagen wollen. Aber ihre Befürchtungen schwanden, als sie bedachte, dass Pater Colavin wahrscheinlich nichts oder nur wenig von dem, was sie ihm erzählt hatte, bewusst aufgenommen hatte. Er war mit seinen Spalten und Zahlen beschäftigt, mit seinem Dach, seinen Fenstern, seiner Glocke. Sie empfand eine solche Dankbarkeit, dass sie trotz der Barriere, die der Tisch darstellte, am liebsten seine Braue, sein weißes Haar, seinen mit Sommersprossen übersäten Handrücken geküsst hätte.
Sie bezähmte sich aber und wartete gespannt auf die Summe, die man ihr als Gegenleistung für die gewährte Unterredung, die sich dem Ende näherte, nennen würde. Dass nichts geklärt, nichts beschlossen worden war, störte sie im Augenblick nicht. Sie hatte erfahren – ohne dass des Langen und Breiten darüber geredet worden wäre –, dass der Pater nichts für sie tun konnte. Er war für böse Geister zuständig, gute wurden sich selbst überlassen. Von ihm konnte sie keine Hilfe
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