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Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)

Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Caldwell
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Schreiberlings.
    Declan hatte die Bücher von Kitty McCloud gelesen, zunächst nur aus Neugierde – schließlich war sie eine Eroberung seiner frühesten Begierden gewesen –, dann mit wachsendem Interesse und zuletzt aus Ehrfurcht. Er hielt sich für einen der wenigen Menschen, der ihre Vorgehensweise durchschaut und Zugang zu dem Tempel der Wahrheit gefunden hatte, in dem dieWortgewaltige sich zu schaffen machte, sich in dem Wissen wiegend, dass niemand ahnte, wer sie wirklich war, woher sie kam und wohin sie ihre Leser führte. Declan wusste es, aber er würde Stillschweigen bewahren – sowohl über ihre Vorgehensweise als auch über seine Eroberung aus jungen Jahren.
    Und nun waren ihr Haus und Garten im Meer versunken; geblieben war eine Leere, derer sich die gurgelnden Wogen bemächtigt hatten, die in der neu ausgeschwemmten Bucht ihr unermüdliches Spiel trieben. Und mit hinfortgespült war das Grab, das er in ihrem Garten ausgehoben hatte, das Grab, in das er mit einer ihm sonst nicht gegebenen Zärtlichkeit den Jungen – sechzehn? siebzehn? –, der sein Lehrling gewesen war, gebettet hatte, einen fröhlichen und eifrigen jungen Burschen, der bei ihm eine besondere Kunstfertigkeit erlernen wollte: das Decken von Schilfrohrdächern. Michael hatte er geheißen und war von einer Insel im Norden gekommen, einer Insel, deren Namen Declan nie recht erfuhr. Wenn er einen nannte, hatte der Junge immer nur geantwortet: »Nein. Die nicht. Eine andere. Weiter nördlich.« Und wenn er in ihn drang, hatte er ihn stets abgespeist mit: »Sie hat vielerlei Namen, je nachdem, wen du fragst.«
    »Also bitte. Ich frage dich jetzt.«
    »Na gut, für meine Familie, für uns ist es immer Kinvara gewesen. Aber sagen Sie es keinem anderen, andere würden sowieso nur behaupten, eine solche Insel gibt es nicht. Für uns aber ist es Kinvara. Dort hinten. Im Norden.« Und er hatte auf das Meer gezeigt.
    Declan hatte den Jungen in dem frisch umgegrabenen Garten von Kitty McCloud fürs Erste zur Ruhe gebettet und war aufgebrochen, Kinvara und die Familie des Jungen ausfindig zu machen, denn er wollte ihn heimbringen können, damit er nicht in der Fremde lag. Über ein Jahr war er umhergezogen, war an die entlegensten Orte gekommen, war auf Inseln gelangt, die auf keiner Landkarte eingezeichnet waren, in Dörfer, die nie einen Besucher gesehen hatten, in Städte, wo niemand, den Declanbefragt hatte, von einem jungen Mann gehört hatte, der Dachdecker hatte werden wollen, wo keiner jemanden kannte, auf den die Beschreibung zutraf: dunkelbraunes Haar, tiefblaue Augen, gerade Haltung mit breiten Schultern, dünne Arme und kräftige Hände, auf der rechten Wange eine Narbe, die ihm der ältere Bruder mit einem Steinwurf beigebracht hatte, der zum Glück nicht das Auge getroffen hatte. Den Burschen mit der frechen Nase, den unschuldigen Lippen, der jungenhaften Brust, den langen dünnen Beinen, mit der glücklichen Gewissheit, einmal Meister in dem von ihm erwählten Handwerk zu werden. Den Jungen mit dem hellen Lachen und den leisen Seufzern, dem arglosen Lächeln, den geheimen Sorgen und Nöten, den großen Füßen. Sein ganzes Sein ein einziges Geheimnis, so wie es sein Name ausdrückte, Michael – das hebräische Wort bedeute so viel wie jemand, der Gott gleicht, hatte er ihm gesagt.
    Sein Tod war unerwartet gekommen, wenn auch nicht plötzlich. Sie hatten in der Nähe einer Straße, die sich einen großen Berg hinaufschlängelte und zu felsigen Weidegründen für die Schafe führte, auf dem Dach eines Cottage zu tun gehabt. Das Material, das sie verarbeiteten, war sorgfältig ausgewähltes Weizenstroh gewesen, das lange Haltbarkeitsdauer und gute Wärmeisolierung versprach. Declan war dafür gewesen, zumindest eine Schicht der alten Decke zu entfernen, die durch Regenwasser entstandenen Dellen mit neuen Binsen auszufüllen und so einen festen Untergrund für die nächste Lage zu schaffen.
    Es geschah, als Michael am Dachfirst des steilen Daches eben solche Vertiefungen ausstopfte – aus irgendeinem Grund stand er plötzlich senkrecht, vielleicht um den steifen Rücken zu recken oder einen Krampf zu lösen, vielleicht auch nur, um einen Moment dem beißenden Geruch der Strohhalme zu entgehen und tief durchzuatmen. Er glitt aus, geriet ins Rutschen und fiel, Declan konnte nur noch entsetzt »Nicht doch!« rufen.
    Michael schlug mit dem Kopf auf die Steine vor der Cottage-Tür auf und lag reglos da. Doch es dauerte nur einen

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