Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)
verschwimmen, die das menschliche Auge als Trennung zwischen Erde und Himmel wahrnimmt. Nur die Vögel, Kormorane und Möwen, die kreischend ins Wasser stießen, um gleich darauf wieder aufzusteigen, schienen sich der Veränderung bewusst, verließen sich auf den ihnen innewohnenden Trieb, die Beute aus dem Meer zu fischen und mit ihr in den Wolken zu entschwinden. Geruhsam glitt ein einsames Boot über das ungewohnt ruhige Wasser.
Auch ein anderes Gefährt, offensichtlich ein ausgedientes Frachtschiff, schien keine Eile zu haben. Es fuhr weit draußen Skellig Michael, einer weiter südlich gelegenen Insel, entgegen. Vermutlich war es mit Touristen besetzt, die die verlassene Einsiedeleibestaunen wollten; vor vielen Jahrhunderten hatten Bußfertige dort den Klippen und Felsen eine Bleibe abgerungen, glaubten sich in dieser unwirtlichen Welt dem Erzengel Michael besonders nahe und kauerten sich, Schutz suchend, unter seine Fittiche, der doch selbst nur ein Racheengel war.
Ehrfürchtig gedachte Declan der Insel – schließlich war er in Kerry geboren, war hier aufgewachsen, und wie allen Söhnen des Landes war es ihm zur Herzenssache geworden, dem geheiligten Flecken Erde Achtung zu zollen, das ganz Irland in seinen erst unlängst überwundenen dunklen Tagen Mut und Kraft verliehen hatte. Zu den sich selbst kasteienden Eremiten hatte er allerdings ein zwiespältiges Verhältnis. Bisweilen konnte er sich nicht des Eindrucks erwehren, dass sie mit ihrem Verzicht auf weltliche Freuden, mit ihrer Hingabe, nur das zu essen, was der kärgliche Boden oder was Wasser und Lüfte hergaben, Irland nicht unbedingt den erwarteten Segen gebracht hatten, sondern eher einen Fluch, der weniger zur Abstinenz bereite Menschen dazu verdammt hatte – gewollt oder nicht –, die gleichen Entbehrungen zu erleiden, die sie so begierig erstrebt hatten.
Offensichtlich war der himmlische Vater von der Buße der Eremiten derart angetan, dass es ihm gefiel, alle Menschen auf der Grünen Insel mit der grandiosen Möglichkeit zu beglücken, dieser außerordentlichen Askese nachzueifern. Als Skellig Michael von dem felsigen Meeresgrund an die Erdoberfläche gesprengt wurde, hatte es die Insel zu eilig gehabt, gen Himmel zu streben, und versäumt, fruchtbare Sedimente mit nach oben zu befördern, war zu begierig gewesen, der Unterwelt zu entkommen, und hatte den anbrandenden Wogen keine Zeit gelassen, seinen Steinmassen gefälligere Formen zu verleihen, um die Insel einigermaßen bewohnbar, wenn schon nicht gastfreundlich zu machen.
Dass Skellig Michael eine heilige Stätte war, das ließ sich nicht bestreiten, aber für Declan ergab sich daraus mit zwingender Logik, dass ganz Irland nicht weniger heilig war – ein Zustand, den es nicht herbeigesehnt hatte, ein Segen, der fast einemFluch gleichkam. So und nicht anders sah er es – Sohn dieses heiligen Landes, der mit all den überlieferten Entbehrungen gestraft war.
Solcherlei Gedanken drängten sich ihm auf und waren nicht unbedingt Balsam für seine wunde Seele. Er ließ ab von dem Blick in die Weite und konzentrierte sich mehr auf das unmittelbare Umfeld, auf den gähnenden Abgrund vor ihm, wo einst ein Haus mit bestelltem Garten gestanden hatte. Es hatte einer unmöglichen Frau gehört, einer Kitty McCloud, Schriftstellerin von einigem Ruf. Ihr Ruhm ging auf die absonderliche Gabe zurück, die unterdrückten Leidenschaften ahnungsloser Frauen (und nicht weniger Männer) aufzureizen oder auch zu dämpfen, sie auf Englisch, Irisch und in anderen weltumspannenden Sprachen zu überzeugen, dass sie ihren Neigungen nur in einer gut erzählten Geschichte frönten, einer harmlosen Gute-Nacht-Geschichte für Erwachsene, wo sie doch in Wahrheit dem Ansturm geheimster Regungen ausgeliefert waren. Declan hatte sich mehr als einmal gefragt, ob Kitty sich ihrer einmaligen Talente bewusst war. In seinem Stolz hatte er sich immer eingeredet, nur er würde sie in ihrer Einmaligkeit zu schätzen wissen.
Mit Hilfe ihrer Bücher drangen solcherlei Wahrheiten ins Unterbewusstsein des Lesers, was in aller Unschuld zu Handlungsweisen führte, die erschütternd waren. Ein mit normalem Verstand ausgerüsteter Leser wusste, dass es reine Phantastereien waren, gewissermaßen Exkurse zu den sieben Todsünden, zwischen denen er sich zügellos und gewissenlos inmitten verbotener Verhältnisse austoben durfte, hielt er doch solche Romane für nichts weiter als gekonnt zusammengeschusterte Machwerke eines skrupellosen
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