Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin Ramadan
Vom Netzwerk:
Fernet-Branca, Trockenobst, Zwiebelringen, Vaseline, ätherischem Lavendelöl, Macadamia-Nüssen, Einwegunterhosen, Miniwörterbüchern jeder Art, Trockenshampoo, Aloe-Vera-Gel, einem Jojo, homöopathischen Kügelchen, Marihuana, einer Sprühflasche fürs Gesicht, einer Barbapapa-Figur, Vitaminpräparaten, einer Taschenlampe, Knallerbsen, einem Gameboy, einem Piccolo, einem ausklappbaren Bügel …
    Aber niemals hatte sie Taschentücher oder einen Regenschirm dabei.
    Tante Trixi sagte oft, man müsse immer und überall auf alles gefasst sein und dass sie an den Schutz durch Konsum glaube. Deshalb hatte sie »Mutti« stets gut befüllt dabei, auch, wenn sie nur kurz zum Bäcker ging. Wie sich bald herausstellen sollte, waren Tante Trixi und »Mutti« nicht auf alles vorbereitet.
     
    Da Tante Trixi sich immer schlechter von ihren verhängnisvollen Affären mit verheirateten Frauen erholte, nahm sie vor ein paar Jahren, wie sie behauptete, zur Vorbeugung etwa zwanzig Kilo zu. Doch die Fettschicht konnte ihr Herz nicht schützen. Tante Trixis Privatleben nahm einige Zeit, nachdem Reiner sie wegen der Sache mit dem Wodka rausgeworfen hatte, eine weitere, dramatische Wendung. Seitdem litt sie an Klaustrophilie, und wir sahen uns nur noch bei ihr zu Hause, wenn ich ihr die Einkäufe vorbeibrachte. Sie verließ das Schlafzimmer im oberen Stock nun gar nicht mehr.Und das Bett nur noch für das Nötigste. Wenn ich sie besuchte, nahm ich also vor ihrem Bett auf dem Fußboden Platz und hörte mir immer wieder an, warum sie es – auch im Sinne der allgemeinen Weltordnung – für vernünftig hielt, künftig nicht mehr aktiv an diesem Leben da draußen teilzunehmen. Ich konnte sie sehr gut verstehen. Denn bevor sich Tante Trixi entschieden hatte, ihr Haus eine Weile nicht mehr zu verlassen, war Folgendes geschehen:
    Eines Morgens wachte sie mit dem Kopf am Fußende ihres antiken Himmelbettes auf und war nicht mehr wütend auf Reiner. Es hatte ein paar Wochen gedauert, bis sie einsah, dass er sie zu Recht rausgeworfen hatte. Sie tauschte Selbstmitleid gegen Selbstironie, schüttelte grinsend den Kopf über ihr Verhalten und gestand sich ein, dass sie die sorglose Enthaltsamkeit in beruflicher und privater Hinsicht satthatte. Sie hängte ihr Toulouse-Lautrec-Poster vom weiblichen Clown wieder auf, öffnete eine Flasche Sekt und trank darauf, von nun an für immer seriös zu sein. Am nächsten Tag kaufte sie eine teure Bewerbungsmappe, füllte sie mit Nachweisen über ihr abgebrochenes Psychologie-, Politik- und Ethnologiestudium und über die Tätigkeit als Reiseleiterin und Animateurin in diversen südeuropäischen sowie karibischen Clubanlagen.
    Ihre Agentur für homosexuelle Seitensprünge, deren einziges Mitglied sie selbst war, ließ sie unerwähnt. Sie schickte ihre Unterlagen an Botschaften, Kulturzentren und Eventagenturen und bekam sogar Einladungen zum Gespräch. Bald arbeitete sie auf verschiedenen Veranstaltungen, schenkte Wein und Champagner aus, verteilte und sammelte Gläser, trug Häppchen umher, füllte Büfetts auf. Bei einer Matinée traf sie auf Eva Evangelista, die besonders schlanke Gattin eines südamerikanischen Ministers. Die Señora aß nichts, ließ sich aber eine Menge Rosé-Champagner von Tante Trixi nachschenken.
    Während der Rede ihres schnurrbärtigen Gatten lallte Señora Evangelista irgendetwas Spanisches und lachte ein bisschen zu lang und zu laut für eine Matinée. Dabei zeigte sie mit zurückgeworfenem Kopf ihr großes, weißes Gebiss. Tante Trixi interpretierte das als ein Indiz sexueller Frustration. Die Señora trug trotz ihrer zierlichen Figur ein viel zu enges Kostümund ging ständig auf die Toilette. Als Tante Trixi ihr folgte, erwischte sie die Señora beim geräuschvollen Koksen. Eva lud Tante Trixi auf ein paar Lines ein und war bereit für neue Erfahrungen.
    Sie trafen sich ein paar Wochen, hatten unkultivierten Sex, und meine eher hedonistische Tante Trixi überzeugte Eva mit erotischem Kalkül und ihrem subversiven Charme von der Überlegenheit der Weiblichkeit und der Notwendigkeit einer Weltrevolution. Bald darauf verließ Señora Evangelista, für alle Beteiligten ziemlich unerwartet, ihren rechtskonservativen Mann und ihre pubertierenden Zwillingssöhne – und Tante Trixi.
    Nachdem Tante Trixi den ersten Schock überwunden hatte, wich der Schmerz einer tröstlichen, regen Phantasie. Sie erzählte mit feuchten Augen, nicht die Liebe sei erloschen, sondern es habe bloß etwas

Weitere Kostenlose Bücher