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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin Ramadan
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denn sie hatte nur darüber sprechen wollen, wie ich mir meine Zukunft vorstelle, als wäre sie eine übermotivierte Referendarin. Sie benutzte mehrfach die Wörter »Potential« und »Willensentscheidung«. Schließlich hörte ich mich selber sagen, dass ich schon mal daran gedacht hatte, Bildende Kunst zu studieren oder mir zumindest einen anderen Job, außerhalb des Imbisses, zu suchen. Liza nannte diese Ideen optimal, klopfte mir zum Abschied auf die Schulter und gab mir die Hand, als hätte sie ein Geschäft erfolgreich abgeschlossen. Sie war die einzige Gleichaltrige, der ich mich unterlegen fühlte. Das hatte den Fortbestand unserer Freundschaft schon früh unmöglich gemacht.

ALLES WIRD GUT
    Liza schrieb mir schon bald eine E-Mail aus London und schilderte darin wortgewandt und ausführlich ihre neuen Eindrücke. Unter »PS« erinnerte sie mich an unser letztes Gespräch und meine Vorsätze. Ich antwortete ihr nicht. Denn seit ich das Abitur in der Tasche hatte, übernahm ich immer häufiger Ramonas Schichten. Anfangs hatte Ramona während der Arbeit noch den Bauarbeitern zugezwinkert. Jetzt war sie selbst zum Baggern zu betrunken. Und wenn sie einmal einigermaßen nüchtern war, ging sie zum Bauchtanz. Sie sah aus wie ein geschminkter, alter Schwamm. Eine Säuferin eben, und das war nicht mal das Schlimmste.
    Reiner und Ramona sagten immer, Selbständigkeit sei das größte Glück in diesen Zeiten. Wenn das die Wahrheit war, verstand ich nicht, warum sie sich dann ständig anbrüllten und manchmal sogar prügelten.
    Waren es zuletzt die Lehrer gewesen, die den ganzen Tag redeten, musste ich jetzt den Leuten im Imbiss zuhören. Sie quatschten einfach drauflos, miteinander oder kreuz und quer. Sie erzählten, dass sie schon vor der Mittagspause unter Kreuzschmerzen litten, abends alle Antworten in der Gameshow im Fernsehen gewusst hätten, immer schon zur Monatsmitte hin knapp bei Kasse seien; sie nannten Selbstmordattentäter das Schlimmste auf Erden, redeten davon, der Chinchilla hätte ständig Blut im Urin und die Tochter sei noch immer mit dem Polen zusammen. Sie ließen sich über den Gatten aus, der neulich angepinkelt werden wollte, aber nur unter der Dusche, und berichteten, ein Nachbar, der durch Südamerika gereist sei, hätte einen Blutegel in der Nase mitgebracht, und das Tierchen sähe arg mitgenommen aus, wie ein verkohlter Regenwurm.
    So redeten sie und dachten sich nichts weiter dabei. Dann und wann warfen sie mir Blicke zu.
    Als Kind schon hatte ich eine Methode entwickelt, alles, was mich beunruhigte,erträglich zu machen. Was mir nicht gefiel, ließ ich zunächst verschwimmen, indem ich die Augen zusammenkniff. Wenn ich auf diese Weise eine Weile unliebsame Nachbarn, Ramona, Oma Senta oder Mitschüler betrachtete, verformten sie sich plötzlich und nahmen dann eine neue Gestalt an, die zumindest einen gewissen Unterhaltungswert hatte. Diese Macht, alles anders aussehen lassen zu können, versöhnte mich mit der Misere meines Daseins und balancierte meine Verstimmungen aus. Ich formte mir Menschen mit Tierköpfen, Nilpferde mit blond toupierten Perücken, rot glühende Kobolde, Hähnchen mit falschen Wimpern, Truthähne mit mondänen Hüten, Schweineköpfe mit Irokesenschnitt, Hyänen mit Schmollmund und entblößten Brüsten, die bis zum Boden hingen, Ramona als monströse Wespe mit Leopardenmuster, die immer wieder gegen die Glasscheibe prallt – und was mir sonst gerade einfiel. Wenn ich besonders gut war, gelang es mir sogar, das ganze Gewimmel von bizarren Erscheinungen in unserem Imbiss zur Mittagszeit nur noch blöken, krächzen oder zwitschern zu lassen. Es funktionierte leider immer nur so lange, bis jemand direkt das Wort an mich richtete und ich dadurch rabiat in die Wirklichkeit zurückgeholt wurde: »Bindehautentzündung, meine Kleine? Das ist aber gar nicht schön, hatte der Yorkshire neulich auch! Hat mich ganz verrückt gemacht, wie das Tier gelitten hat!«
     
    Nach einigen Wochen in der Tiefkühltruhe sollte Friedrich endlich eine anständige Ruhestätte bekommen. Es war Mitternacht, wir standen im Regen neben dem Grab von Oma Senta. Mein Vater buddelte und grub und verscharrte Friedrich in seiner Zwiebelkiste über Oma Sentas Sarg.
    »Mutti hatte keine Freunde, da gräbt außer uns niemand rum«, versicherte er uns.
    Sogar Tante Trixi hatte sich aufgerafft, obwohl sie weder Tiere noch Beerdigungen leiden konnte und schon gar keine schwarze Kleidung.
    Verschwommen sah ich

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