Das Schwein unter den Fischen
da nicht was vergessen?«, bohrt er nach.
»Was denn noch?«
»Was geschah nach der Kreuzigung?«
Er lächelt inzwischen wieder milde.
»Na, so einiges bis zum heutigen Tag.«
»Die Auferstehung natürlich!«
»Ach ja, das.«
»Was weißt du noch über Jesus?« Es scheint Joachim wirklich zu interessieren.
Ich erinnere mich kaum an den entsprechenden Schulunterricht und rate:
»Er war Handwerker, gesellig, hilfsbereit, beliebt, hatte immer Leute um sich. Er muss sehr charismatisch gewesen sein!«
»Er ist auch für dich gestorben«, freut sich Joachim und nickt mir mehrmals aufmunternd zu.
»Für mich? Unsinn! Was soll das denn heißen? Soll ich hier missioniert werden oder bekomme ich jetzt die Einführung in meinen neuen Job? Ich kann jederzeit hier rausspazieren, wenn es mir nicht gefällt, wir wissen beide, wie unchristlich die Sache dann enden wird!«
Joachim rollt mit seinen Kalbsaugen und sagt betont gelassen:
»Nicht so hastig. Ich meine es doch nur gut und bezahle dich sogar dafür, dass du ein wenig Bildung bekommst. Setz dich, ich mache mir ebenschnell in der Küche einen Tee und bring uns was zu essen mit. Um elf gibt es eine Besprechung für alle. Vielleicht sind wir bis dahin schon mit unserer Einführung durch, falls nicht, holen wir das später nach.«
»Was ist mit dem
Napoleon
? Da gehst du doch montags immer hin.«
»Heute nicht!«, ruft er von der Treppe.
Ich bin plötzlich sehr müde und schließe die Augen. Da steht Joachim Matthias schon wieder im Raum. Er stellt eine Kanne auf den Schreibtisch, greift in eine Tüte, hält mir dann ein Stück frittierte Schweineschwarte unter die Nase und nickt mir schon wieder zu. Erst sanft, dann energisch. Er reißt die Augen auf und zieht die Brauen hoch, wedelt mit der Hand, in der er das frittierte Ding hält. Er lächelt und wedelt immer penetranter.
Ich fühle mich, als würde ich die Spezialität eines fernen Landes ausschlagen und so ein ganzes Volk beleidigen. Betti würde sogar ihr Meerschweinchen essen. Ich muss einfach nur zugreifen, mich und meinen Mund öffnen. Hinter Joachim Matthias meine ich eine glühende Sonne aufgehen zu sehen, aber da ist nur ein Glasschrank, in dem eine orangefarbene Familienflasche Shampoo steht.
Joachim Matthias zieht den Schweinehautsnack an seiner Nase vorbei, schließt die Augen und macht ein unappetitliches Geräusch, ein Stöhnseufzer. Dann sagt er: »Lecker!« Mir wird übel. Aus seinem Mund klingt es ekelhaft.
Trotzdem strecke ich meine Hand aus und halte sie auf. Triumphierend legt er den Snack hinein. Ich stecke mir das ganze kantige Teil in den Mund. Ich will es schnell hinter mich bringen. Es lässt sich aber leider nicht so gut hinuntermanövrieren wie Reiners Mett. Frittierte Haut muss man kauen. Erst tut es ein bisschen weh am Gaumen, irgendwo in meinem Mund ist plötzlich Blut, dann schmeckt es gar nicht schlecht. Fettig, salzig, knusprig.
Joachim Matthias kippt Zitronengranulat in die Teekanne und rührt mit einem Kochlöffel um. Er erklärt mir, das Wasser dürfe bloß warm sein, nicht heiß, damit das Vitamin C erhalten bliebe. Joachim Matthias glaubt an Vitamin C in Zitronengranulat. Da wundert es mich nicht, dass er Ramona für eine attraktive Frau hält. Vielleicht sollte man ihm sagen, dass er die böse Stiefmutter vögelt.
Joachims eindringlicher, flackernder Blick, dazu das Lächeln mit leicht geöffnetem Mund. Ich denke an Menschen, von denen die Nachbarn hinterher sagen, sie hätten immer nett gegrüßt.
Als ich einmal nicht einschlafen konnte, dachte ich darüber nach, was die Kriterien dafür sein könnten zu glauben, einen Menschen sehr gut zu kennen: Man weiß, was er für ein Verhältnis zu seinen Eltern hat, was er verdrängt, wen er für seine Feinde hält, wen er belügt, wer ihm das Herz gebrochen hat – und man kann sich jederzeit seine Hände vorstellen, auch, wie sie sich anfühlen.
Ich starre Joachim Matthias an, er setzt sich auf seine Hände.
Ich fange an, mich mit Schweineschwarte vollzustopfen, Joachim hebt einen Korb auf den Schreibtisch und setzt sich eine rote Bommelmütze auf den Kopf.
»Warum die Mütze?«, frage ich mit vollem Mund.
»Das ist die Erklärerkappe. Rot hält wach und steigert die Aufmerksamkeit!«
»Das ist eine Mütze, keine Kappe! Sagst du Kappe wegen dem Papst?«
»Du weißt gerne alles besser, kann das sein?«, fragt er.
»Ist das eine Sünde?«
»Sicher ist es eine Variante des Hochmutes.«
»Und der kommt vor dem
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