Das Schwein unter den Fischen
ruhig Zuckerwatte mit Schnaps, mir recht! Nein, Spaß beiseite, das sind eben die Regeln. Daran hat sich auch Frau Bonne zu halten. Gerade sie braucht Regeln. Dunja soll dir mal die Unterlagen zu Frau Bonne geben. Lieselore Bonne ist ihr voller Name, aber nenn sie bloß nicht so, dann isst sie den ganzen Tag nur Kernobst, um dich unentwegt zu bespucken oder zu bewerfen. Das kann richtig wehtun! Nenn sie Lilli.«
»O. k. Dann weiß ich ja jetzt, was ich zu tun habe. Kann ich nun zu Dunja gehen?«
»Nein, wir fahren gleich mit der Walnuss fort. Ich sage den anderen, dass die Sitzung ohne uns stattfindet.«
Walnuss also. Ich werfe einen Blick in den Korb, nachdem er die Treppe hinunter ist. Da liegen zwei Walnüsse, aber kein Nussknacker. Außerdem befinden sich in dem Korb eine Scheibe Brot, eine Taschenlampe, eine Rolle Fertigteig, eine Glühbirne und ein Kompass. Ich schaue mich in dem Büro um, stehe auf, wechsele die Seite. Die Schubladen des Schreibtisches sind abgeschlossen.
Ich höre Joachim Matthias unten mit Herri streiten. Herri hat eine krächzende Stimme, die mitten im Satz abbricht. Joachim schreit: »Gib es zu, Heribert! Übernimm Verantwortung, Heribert! Nimm jetzt den Essig und mach das weg!«
Irgendwann ist Stille. Joachim steht kurz darauf mit rotschwitzigem Gesicht wieder vor mir und verkündet: »Wir brechen die Schulung ab. Ich bekomme gerade Migräne.«
Er sieht wirklich aus, als hätte er Schmerzen.
»Was ist mit den anderen Sachen im Korb?«, frage ich.
Er schaut in den Korb und legt alle Gegenstände nebeneinander, redet von harter Schale und weichen Kernen, die Glühbirne sei durchgebrannt wie der Christ, dem durch Sünde das Leuchten fehle, der Teig werde geknetet wie wir von Gott, die Taschenlampe leuchte den Weg wie Jesus, und der Kompass könne durch magnetische Felder gestört werden, wie der Glaubedurch falsche Einflüsse. Das Brot isst er auf, während er seinen Text runterrattert. Am Schluss sagt er, es sei das Brot des Lebens gewesen. Es stille den Hunger nach Vergebung. Er sei jetzt satt, ich könne gehen.
Den Rest des Tages verbringe ich in meinem Zimmer auf dem Boden und zeichne eine Serie. Ich nenne sie: »Joachim Matthias in Dr. Rays Rollkragenpullovern«. Der Adamsapfel von Joachim Matthias ist zunächst kaum sichtbar, dann sticht er langsam durch den Kragen, bahnt sich seinen Weg nach oben zum Kopf und durchtrennt die Halsschlagader. Von Bild zu Bild wächst mein Hass, und je länger ich zeichne, desto weniger ähnelt das Motiv Joachim Matthias. Vielleicht bin ich einfach zu müde.
In meinem Traum liegt eines von Joachim Matthias’ Kalbsaugen auf dem Boden meines Zimmers und starrt mich an. Dann läuft eine Träne heraus und kullert unter mein Bett. Ich wache auf und mache das Licht an.
Pünktlich stehe ich am nächsten Morgen vor dem himmelblauen Haus. Betti trifft wieder so spät ein wie gestern. Sie sagt, das Meerschweinchen habe die Nacht nicht überlebt, sie hätte es zum Sterben mit nach Hause genommen, sei aber nicht groß traumatisiert.
Herri hat sich für den Vormittag krankgemeldet. Alle anderen sind in der Küche. Auch zwei Gast-Nonnen aus Indien. Joachim Matthias sitzt zwischen ihnen. Sie sind kaum älter als ich. Beide schauen finster, bis man sie ansieht, dann erfolgt serviles Gelächle. Eine der beiden Nonnen ist hübsch. Was für eine Verschwendung, denke ich. Die andere ist außergewöhnlich hässlich, sie hat sogar zwei Warzen auf der Wange, und einer ihrer Vorderzähne steht so weit vor, dass sie ihn auch mit geschlossenem Mund nicht hinter den Lippen verbergen kann. Sie versucht es trotzdem unentwegt.
Dunja ist während der ganzen Besprechung mit etwas anderem beschäftigt. Sie schmiert Toast, macht Tee, räumt ab, füllt Kekse in Schälchen. Geleitet wird die Sitzung von zwei Frauen, die ich am Tag zuvor nicht kennengelernt habe. Betti betrachtet ihre Handflächen und pult an ihrer Hornhaut. Dunja greift immer wieder nach den Keksen auf dem Tisch, bisBetti ihr grob auf den Arm haut und sagt: »Nun nimm dir doch die ganze Schale nach hinten und friss da, das nervt!«
Dunja hört auf, Kekse zu essen, und hält sich den Arm. Die Versammlung löst sich auf. Ich helfe Dunja, die Küche aufzuräumen. Ab und zu begutachtet sie die Stelle an ihrem Arm und drückt daran herum. Ich frage:
»Tut’s noch weh?«
»Mhm, wird bestimmt ein blauer Fleck.«
»Wie bist du eigentlich hier gelandet?«
»Ich hab Hauswirtschafterin gelernt. Meine
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