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Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)

Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Caldwell
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Worte gesprochen, da knickten die Knie, ihre englischen Knie auch schon ein – und wer wollte es den Halunken verdenken, angesichts eines solchen Höhenzugs und solch einen Wunders, das sich ihnen darbot? Und deshalb kämpfen wir nicht nur, um uns selbst zu befreien, sondern auch um sie zu befreien, denk immer daran. Um sie endlich von ihren Knien zu erheben, damit sie aufrecht stehen und gehen können in diesem großartigen Land, nicht länger im Bann des Versuchers. Auch für sie, für die knienden Engländer, Halunken sind es und bleiben es, kämpfen wir. Und so geht es immer weiter und weiter und weiter, bis wir sie zum guten Ende befreit haben.« Dann lachte sie ihr herzhaftes Lachen und fügte hinzu: »Oder zum bösen. Denn bei solchen wie ihnen weiß man nie.« Dann seufzte sie tief und wiederholte – gewissermaßen statt eines ›Amen‹ – »Halunken.«
    Nicht unbedingt erpicht darauf, seine irische Herkunft zu bekräftigen – nicht aus Untreue oder Gleichgültigkeit heraus, sondern mehr dem Verlangen nachgebend, in weniger hehren Gefühlen zu schwelgen –, entschied sich Aaron für die See. Tante Molly war ein andermal dran.
    Tante Kitty war nachts zurückgekehrt. Sie saß in der Küche und arbeitete unverdrossen am Computer, während er sich ein ordentliches Frühstück einhalf: zwei weitere Hotdogs, eine Banane und drei Tassen Kaffee, die – schwarz und ohne alles – nach dem sauren Guinness vom Abend zuvor die reinste Wohltat waren. Er fühlte sich gleich wiederfit. Kitty ließ sich von ihrer Schreiberei nicht ablenken, der Mann in der Priesterstube blieb unbeachtet. Jeden Morgen saß seine Tante an ihrer Arbeit, und nichts – weder Leben noch Tod – vermochte sie von ihren fröhlichen Umformulierungen abzubringen. Gegenwärtig hatte sie auf Anraten ihres Londoner Verlegers Anthony Trollopes
»Kannst du ihr verzeihen?«
(sie konnte nicht) zur Seite gelegt und war mit der Verbesserung von »
Tess von d’Urbervilles«
beschäftigt, wobei die Titelheldin Tess, jetzt unter dem Namen Tiffany, nicht ihren ersten Verführer – in Kittys Version namens Kyle – tötet, der trotz allem für sie und ihre Familie gesorgt hatte, sondern den Ehemann, der sie während ihrer Schwangerschaft im Stich gelassen hatte. Das war, wie Kitty nachdrücklich erklärt hatte, der einzig richtige Schluss. Er, der Ehemann, musste getötet werden. Sie behielt sogar den Namen Clair bei, also wurde Clair das Schwert in den Leib gerammt und nicht jemandem, der mit einem Ersatznamen bedacht wurde. Schon als Sechzehnjährige, als Kitty das Buch zum ersten Mal las, war sie dafür gewesen, dass Clair seine gerechte Strafe bekam. Als es jetzt so weit war, bereitete es ihr ein besonderes Vergnügen, dass sie mit dem Vorfall so vertraut war, dass sie als Autorin nicht nur unmittelbar dabei sein durfte, sondern auch darauf achten konnte, dass dem feigen Clair ein Moment der ihn nicht erlösenden Verwunderung eingeräumt wurde, als Tess/ Tiffany ihn mit einem zum richtigen Zeitpunkt griffbereiten Schwert ans Kopfteil des Bettes heftete.
    »Heute passiert es«, hatte Kitty gesagt, als Aaron seinen zweiten Hotdog vertilgte. Sie rieb sich die Hände, wohl um sich selbst für die bevorstehende Tat in Hitzewallung zu bringen. »Wenn du zurück bist, hat’s ihn schon erwischt, zur Hölle mit ihm.« Sie bebte förmlich im Vorgefühl des Racheakts, zog die Schultern hoch und presste die Ellbogen an die Rippen. Und als Aaron die Fliegentür hinter sich zuschlug, hörte er bereits wieder das gedämpfte Klicken derComputertastatur, mit dem Tiffany nicht nur zum Racheakt an ihrem Ehemann getrieben wurde, sondern auch an Thomas Hardy und einem beträchtlichen Teil der englischen Literatur des 19. Jahrhunderts. »Zur Hölle mit ihm« war eine gängige Redensart seiner Tante.
     
    Um seine Füße vor den Steinen und Muscheln zu schützen, mit denen der Uferstreifen übersät war, trug Aaron Sandalen, und nicht nur die, sondern auch weiße Socken, denn es war ihm peinlich, wie sein großer Zeh versuchte, sich über den nächstliegenden Zeh zu schieben. Dass er am Strand jemandem begegnen würde, war unwahrscheinlich, dass er jemandem begegnen würde, der sich für seine Zehen interessierte, war noch unwahrscheinlicher. Aber mit Ausnahme von Herzensangelegenheiten zog Aaron es vor, kein Risiko einzugehen.
    In der Ferne bäumten sich die Wellen auf und sanken tosend in sich zusammen. Aaron befleißigte sich eines Schritts, wie er ihm für tiefsinniges

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