Das Schwert der Keltin
nichts davon erkennen, erneut zu ihm zurückkehren zu wollen. Ohne die Gegenwart seines Gottes aber waren Valerius’ Rang und Bedeutung im Tempel nur simple Namen, nichts als die erforderlichen Voraussetzungen für eine Karriere, die ihren Zenith ohnehin schon erreicht hatte. Er war der Erste Dekurio seines Flügels, und die Stellung des Präfekten, das hatte man ihm vor langer Zeit zu verstehen gegeben, würde er niemals bekleiden können; diese war den Kavalleristen von römischer Geburt vorbehalten. Wenn Valerius also nicht plante, die Kavallerie zu verlassen und sich den Legionstruppen anzuschließen - und genau das wollte er eben nicht -, gab es keine höhere Position mehr, die er noch hätte anstreben können. Irgendwo in dem Durcheinander seiner Erinnerungen hörte er plötzlich die Stimme seines jüngeren Selbst, gefolgt von Corvus’.
Ich glaube, das wäre der Entwicklung meiner Karriere recht zuträglich.
Das wäre es bestimmt, da bin ich mir sicher.
Damals hatte Valerius das auch geglaubt oder hatte es sich zumindest eingeredet. Nun aber wusste er, dass nur drei Männer in den Tempeln der Provinz den Rang des Löwen bekleiden durften, und wenn Valerius in diese Stellung aufgestiegen war, bedeutete das, dass ein anderer von ihnen verstorben sein musste. Im Stillen fragte er sich, welcher von ihnen wohl sein Ende gefunden haben mochte und wie. Möglicherweise erwartete man von ihm nun sogar, dass er sich danach erkundigte. Auf irgendetwas nämlich wartete der Tribun ganz offensichtlich.
Valerius nickte und versuchte, damit auch ein gewisses Maß an Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. »Danke. Wenn möglich, würde ich gern noch ein wenig bei meinem Gott verweilen, ehe wir in den Kampf ziehen. Ich habe mir sagen lassen, dass es hier eine Höhle geben soll, die ebenfalls dem Gott geweiht ist; dass es nicht nur die Kellergewölbe gäbe. Ist das wahr?«
»Es ist wahr. Der Berg mit seinen vielen Höhlen und Einbuchtungen gleicht einem Schwamm. Und eine dieser Höhlen hat der Gott uns als die seine zu erkennen gegeben.«
»Darf ich sie einmal aufsuchen? Allein?«
Dies war keine gewöhnliche Bitte. Der Tribun dachte eine Weile nach und legte die Finger auf seine Tätowierungen. »Du darfst«, antwortete er schließlich und gab Valerius noch eine kurze Wegbeschreibung, wie er die Höhle finden konnte.
Valerius nickte abermals. »Wie ich schon sagte, ich fühle mich sehr geehrt.«
»Der Gott ehrt uns alle.«
Daraufhin ließ der Tribun ihn wieder allein, und ein zweiter Mann trat an sein Bett. Valerius, der Theophilus erwartet hatte, begann sogleich: »Ich muss aufstehen. Wenn ich es schaffe, auf eigenen Beinen zu laufen, gewinnt Longinus dann seine Wette?«
»Das werde ich.«
Am Fußende von Valerius’ Bett stand der Thraker. Er wirkte etwas ausgeruhter als Theophilus. Außerdem hatte Longinus offenbar auch sein rotbraunes Haar gewaschen und sich rasiert; die Haut an seinen Wangen war unnatürlich gerötet, und ein blutiger Kratzer verunzierte seine Kehle. Er schien noch einen Schritt vortreten zu wollen, verharrte aber dort, wo er stand. So vorsichtig war Longinus normalerweise nicht.
Im Geiste war Valerius noch immer bei dem grauhaarigen Tribun, dann verdrängte er diese Gedanken. Zwischen ihm und dem Mann am Fußende seines Bettes hatte sich eine Kluft aufgetan, die unüberbrückbar zu werden drohte. Ein Lächeln fiel Valerius plötzlich wesentlich schwerer, als er zuvor gedacht hatte, und doch unternahm er zumindest einen Versuch. »Ich könnte nun den ganzen Rest meines Lebens damit verbringen, dir dafür zu danken, dass du mich hierher gebracht hast. Und ich möchte mich auch entschuldigen für was auch immer ich während meines Aufenthalts in den Zwischenwelten jenseits des Schlafes gesagt habe. Wenn du möchtest, fange ich sofort mit meinen Dankesbezeugungen an, aber ich glaube, es würde dir sehr bald langweilig werden.«
»Das kann schon sein, denn ein ganzes Leben ist eine ziemlich lange Zeit.« Der Thraker strich mit den Fingern an seiner Nase entlang. »Hattest du denn vor, es zu versuchen?«
»Nicht von hier aus, das ist mir zu weit.« Dabei streckte Valerius die Hand aus, und seine Erleichterung, als Longinus seine Hand schließlich ergriff, war größer, als er jemals gedacht hätte. Ein wenig schwindelig sagte er: »Ich glaube nicht, dass ich zerbreche, wenn du mich umarmst.«
»Meinst du? Theophilus schien da anderer Ansicht zu sein. Aber wenn er Recht behält, verlieren wir beide
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