Das Schwert der Keltin
wieder und wieder von den Felsen zurückgeworfen. Ein Bulle schrie im Todeskampf. » Dann finde etwas anderes«, fügte eine Stimme, die aber nicht die seines Gottes war, hinzu.
Valerius hätte dort noch stunden- oder tagelang stehen bleiben können, doch tropfendes Kerzenwachs verbrannte ihm die Hand. Er schreckte zurück, und der bereits verblassende Feuerspiegel zerbrach nun endgültig, spie nur noch einige letzte Funken. Geschmolzenes Licht breitete sich über den Boden und die Wände der Höhle aus, floss dann jedoch zurück in den See, der wieder spiegelglatt war und nur schwach erleuchtet. Langsam erinnerte sich Valerius, dass der Stier, den er bereits dreimal hatte sterben sehen, gar nicht weiß gewesen war, sondern rotbraun. Doch verstand er nicht, warum dies so war.
Vor langer Zeit hatte Theophilus ihn einmal davor gewarnt, zu viel Zeit in den Welten außerhalb seiner eigenen zu verbringen, denn irgendwann könnte es ihm nicht mehr gelingen, wieder zurückzukehren. Der Arzt hatte in diesem Augenblick von den Albträumen und den Visionen während des Tages gesprochen, doch die Gefahr war hier genauso gegenwärtig wie an irgendeinem anderen Ort. Der Sog war wie der eines Magnets und Valerius’ Körper das Eisen. Irgendetwas sagte Valerius, dass das Wasser alles andere als flach war. Er konnte also einfach hineinschreiten, einfach weiterwaten, und nach wenigen Schritten wäre er bei seinem Gott.
»Valerius?« Longinus’ Stimme klang verzerrt, als hätte sie sich durch die Wendungen des Höhlengangs erst mühsam einen Weg bahnen müssen.
Valerius trat vom Rande des Sees zurück. »Gleich. Ich bin gleich wieder draußen.«
Doch er konnte noch nicht gehen. Valerius wandte sich erneut dem See zu und versuchte ein weiteres Mal, im schwachen Schein der Kerze die Überbleibsel der einst leuchtenden Höhle zu erkunden. In der Wand auf der anderen Seite des Sees entdeckte er den aus dem Stein herausgemeißelten Altar, erkannte sogar die Felswand hinter den neun Fackeln und die Weihrauchgefäße, die die Initiationsriten zu mehr als bloß einfachen, in der Dunkelheit abgehaltenen Ritualen werden ließen. Dahinter wiederum, in der Wand gegenüber dem Durchgang, erblickte Valerius eine hohe, schmale Öffnung, deren Inneres jedoch noch dunkler schien als die Höhle selbst. Die Luft aus der Höhle strömte in diese kleinere Kammer hinein und drängte ihn vorwärts. Valerius hielt die rußende Kerze hoch über seinen Kopf, drehte sich seitwärts und betrat den Eingang der Kammer.
NEIN.
Das Wort dröhnte in Valerius’ Ohren, entsprang aber offenbar seinem eigenen Kopf. Der Atem stockte ihm, und seine Kehle zog sich zusammen. Abrupt blieb auch sein Herz stehen, begann nach einem Augenblick aber wieder zu schlagen. Dies war ganz und gar nicht die Stimme des knienden Jungen.
Valerius trat einen Schritt zurück, und nun konnte er auch wieder atmen. Wie von ferne hörte er, wie seine Füße über den Boden tappten. Einen langsamen Schritt nach dem anderen wich er zurück, bis seine Fersen gegen jene Felswand stießen, durch die er zuerst eingetreten war, doch noch bevor er den Durchgang wieder erreichte, verlöschte die Kerze. Nach einigem Suchen fand er jedoch den Tunnel zu seiner Linken.
Zu schnell, um seinem geschwächten Körper noch erträglich zu sein, aber zu langsam, um sich wieder zu beruhigen, kroch Valerius durch den Tunnel, dann erhob er sich, prallte taumelnd gegen Felswände, glitt an ihnen vorbei und trat schließlich hinaus in einen Morgen in den Bergen, wo die Luft feucht war vom Sprühnebel des Wasserfalls und wo ein Bussard schrie wie sonst nur die Möwen.
Nicht weit vom Eingang entfernt wartete Longinus. Nach einer Weile fragte er: »Hast du deinen eigenen Tod gesehen? Oder den meinen?«
»Nein.«
»Dann komm zu mir und setz dich ans Wasser. Was auch immer es gewesen sein mag, es wird vorübergehen.«
Drei Tage später, am ersten Tag des neuen Mondes, konnte man sehen, wie der Dekurio der ersten Schwadron der Ersten Thrakischen Kavallerie auf seinem gescheckten Pferd auf den Exerzierplatz ritt. Sein Freund, der Standartenträger der ersten Schwadron, sammelte seine Gewinne ein, und man konnte erkennen, dass er offenbar bei außerordentlich guter Laune war. Am darauf folgenden Tage wurde den versammelten Truppen Wort für Wort der Bericht eines Spähers vorgelesen. Der Bericht beschrieb detailliert den genauen Aufenthaltsort des Rebellenführers Caratacus, die Zahl seiner Krieger und die
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