Das Schwert der Keltin
Gemetzel anrichten können.
Beide Seiten legten sich zur Nachtruhe nieder. Die Träumer entzündeten, etwas entfernt von den Kriegern auf einer steinigen Aussichtsplattform und unmittelbar unter der Kuppe des Hügels, ihr eigenes Feuer. Ein verkümmerter Vogelbeerbaum ließ seine Beeren in faustgroßen Trauben über das Schwindel erregend steile Bergmassiv hängen. Auf dem ebenen, steinernen Boden der Plattform schleuderte ein riesiges Feuer aus Rotdorn, Birken- und Apfelholz seine Funken hoch in die Nacht hinauf.
Zweihundert Sänger und Träumer hatten sich um dieses Feuer herum versammelt, so viele waren es seit der Invasion der Römer noch nicht gewesen. Sollte es ihnen gegeben sein, würden sie, ehe sie das Feuer erneut entzündeten, gesehen haben, wie Scapula starb. Von jenen mit der größten Macht, deren Zwiesprache mit den Göttern am reinsten war, fehlte nur Airmid. Ihr Platz war nun auf Mona, bei der Bodicea und ihrem jüngsten Kind. Breaca war nicht die Einzige gewesen, die geträumt hatte, dass der Schlüssel zur Zukunft der Stämme in Graine lag, und besonders die ersten Lebenstage des Säuglings wurden somit von allen nur möglichen Vorsichtsmaßnahmen begleitet. Folglich wurde Airmids Abwesenheit geduldet, wenngleich man die Träumerin vermisste.
Dubornos schmerzte Airmids Fehlen ebenso sehr wie das Fehlen seines Schildes in einer Schlacht. Zwar hatte er nicht sonderlich eng mit ihr zusammengearbeitet - Monate konnten vergehen, in denen sie nicht ein einziges Wort miteinander wechselten -, doch er spürte, wann sie in seiner Nähe war oder wann sie fort war, spürte es genauso deutlich, wie er Licht von Dunkelheit unterscheiden konnte, Hitze von Kälte oder Liebe von Verlust. Zwar konnte er seine Aufgabe dennoch erfüllen, doch es fiel ihm ungleich schwerer.
In der Nacht vor jener Schlacht, die größer war als jede andere, die er seit der Invasion bisher erlebt hatte, stand Dubornos gemeinsam mit den anderen, mit denen er auf Mona zusammen im großen Rundhaus gelebt hatte, um das Feuer herum; mit Maroc, dem Ältesten, und Luain mac Calma, der einst von Hibernia herübergekommen war, und mit Efnís, der der Erste unter den Träumern der nördlichen Eceni gewesen war, bis die Exekutionen einsetzten und es nicht mehr sicher für ihn war, noch länger dort zu bleiben. Diese drei waren die Mächtigsten: der Bär, der Reiher, der Falke - alle drei Jäger, jedoch mit der visionären Weitsicht, die ihre Träume ihnen verliehen. Ihnen zur Seite standen noch Hunderte anderer, jene, welche bereits seit zehn Jahren oder noch mehr mit ihnen gelebt und trainiert hatten und die es gewohnt waren, miteinander zusammenzuarbeiten. Zum ersten Mal in einer Schlacht waren diesmal aber auch die Träumer der westlichen Stämme zu ihnen gestoßen, jene Männer und Frauen, die zunächst noch zurückgeblieben waren, um in einer Zeit der nicht endenden Kriege das Herz ihres Volkes zu schützen. Sie trafen als Ebenbürtige aufeinander, und sogleich wurden Bündnisse geschmiedet oder erneuert. Das gab ihnen Kraft, und nun waren sie eine größere Macht, als sie jemals hätten erhoffen dürfen, wenn eine jede der Gruppen in der vergleichsweise stillen Abgeschiedenheit ihrer Stämme geblieben wäre.
Efnís, der Träumer der Eceni, führte die Versammlung an. Als Einziger von allen hatte er die Gesichter von jenen drei Männern in der Masse ihrer Feinde gesehen, deren Tod für die Stämme am bedeutendsten sein würde: den Statthalter Scapula, den Legat der Zwanzigsten Legion und den Dekurio der Thrakischen Hilfstruppe, der auf dem gescheckten Pferd ritt. Diese Erinnerungen an die Gesichter der Feinde, eine jede Vision mit dem Haar einer roten Stute an einen grünen Weißdornzweig gebunden, übergab Efnís nun dem Feuer, damit auch die anderen Männer sie ebenso scharf erblicken konnten wie er. Während die Zweige verbrannten, atmeten die Sänger und Träumer die Essenz jener Männer, die sie jagten, ein, und ließen sie tief in ihr Gedächtnis einsinken: das Aufblitzen eines Gesichts im Profil, der besondere Geruch eines Mannes in der Schlacht, der ihn vom Rest der Männer unterschied, der Klang einer Stimme, wie diese entweder ein Kommando brüllte oder etwas leiser erklang, wenn sich der Krieger zur Ruhe legte, die Liebe eines Vaters für seinen Sohn und die Verbundenheit eines Soldaten mit seinem Kampfgenossen, das komplizierte Gewebe des Hasses von jemandem, der tötet, nur um seinen eigenen Hass auf sich selbst zu
Weitere Kostenlose Bücher