Das Schwert der Keltin
sonst?«
»Dein Sohn? Vielleicht. Oder meinst du den Sänger?« Mit einem gackernden Lachen hüpfte die Großmutter plötzlich umher. Sie hatte schon immer eine ganz entsetzliche Art von Humor gehabt. Selbst der Tod konnte dies nicht dämpfen. »Dubornos geht es gut. Er träumt von Airmid.« Sie grinste, neigte den Kopf ein wenig zur Seite und wirkte wie die Inkarnation einer Spottdrossel höchstpersönlich. »Und auch Caradoc ist bislang noch kein Schaden zugefügt worden. Er sorgt sich um dich und um euren Sohn.«
»Können wir ihm helfen?«
»Ich weiß nicht. Was meinst du? Oder sollen wir die Götter befragen?« Ungewöhnlich gelenkig ging die Großmutter vor dem Feuer in die Hocke. Sie langte in die Glut hinein und stocherte mit einem Finger darin herum, bis die Holzscheite auseinander fielen und in neuer Anordnung liegen blieben. Aufmerksam musterte sie die einzelnen Stücke und las aus der sich wieder setzenden Asche die Zukunft heraus. Nickend und murmelnd erhob sie sich schließlich, marschierte geradewegs an einem steif dastehenden, schweigenden Luain mac Calma vorbei und watete in den Fluss hinein. Breaca wusste, wie kalt das Wasser war, denn sie hatte sich zuvor selbst darin gewaschen. Ohne zu zögern, schritt die Großmutter immer weiter hinein, bis das spiegelglatte, schwarze Wasser gegen ihre schlaffen Brüste schwappte. Sie beugte sich vor, pustete über die absolut ebene Oberfläche des Wassers und rieb anschließend noch einmal mit dem Handballen darüber, um ihr Spiegelbild noch besser bewundern zu können.
»Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich abermals. Dann hob die Großmutter den Kopf und blickte mit leuchtenden Augen, in denen sich der Schein des Feuers widerspiegelte, direkt zu Breaca hinüber. »Wäre es dir lieber, wenn er tot, aber sicher und geborgen in der Obhut Brigas wäre, oder wenn er lebte und du aber wüsstest, dass du ihn niemals wieder sehen würdest?«
Breaca starrte die Großmutter an. Die Worte der alten Frau drangen zwar in ihr Bewusstsein ein, ergaben jedoch augenscheinlich keinen Sinn. »Ich verstehe nicht«, erwiderte sie.
Die alte Frau nickte. Ihre gackernde Verrücktheit war wieder verebbt. Nun war sie so ernst, wie sie es zu Lebzeiten nur selten gewesen war, und wenn, dann auch nur in der Gegenwart des Todes. Schließlich sagte sie: »Die Zukunft steht noch nicht fest. Das tut sie nie. Es könnte sein, dass Caradoc stirbt, aber es besteht auch die Chance, dass er überlebt. Wenn er sterben sollte, wirst du zumindest wissen, wo er sich befindet. Sollte er dagegen überleben, wirst du das womöglich nicht erfahren.«
»Liegt die Wahl bei mir?«
»Wahrscheinlich nicht. Aber für den Fall, dass man dich fragen sollte, solltest du wissen, welche von beiden Möglichkeiten dir lieber wäre.«
Das war ein Rätsel, wie es sich die Träumer in den dunklen Winternächten auf Mona gegenseitig aufgaben. Von seiner Beantwortung hing jedoch nichts ab - weder das Versprechen des Lebens noch das Geschenk des Todes. Es kam vielmehr darauf an, den tieferen Sinn hinter der Fragestellung zu erkennen.
Was also war schlimmer: zu leben, wenn das Leben unerträglich geworden war, oder zu sterben, obgleich die Flamme des Herzens noch immer brannte?
Was war besser: zu sterben und dem bereits heraufdräuenden Leiden unter der Herrschaft der Götter und der Menschen zu entkommen, oder zu leben und das Glück eines anderen Menschen dahinsiechen zu sehen?
Und wer besaß das Recht, dies für einen anderen Menschen zu entscheiden?
Niemand.
Zu Breacas Füßen tat sich die Erde auf und gab doch keine Antwort. Schließlich - die Worte in Breacas Mund fühlten sich staubtrocken an - sagte sie: »Das darf ich nicht entscheiden. Ich habe nicht das Recht, an seiner statt zu wählen.«
Bis zum Halse von eiskaltem Wasser umschlossen, schüttelte die ältere Großmutter den Kopf. »Natürlich nicht. Die Götter entscheiden und jene, deren Seelen sich noch im Gleichgewicht befinden, aber dennoch müssen sie - und du - wissen, was du wählen würdest. Anders kommen wir nicht weiter.«
Die Nacht wartete. Drei Träumer standen um das Feuer herum, Träumer, die Nacht für Nacht die Grenze zwischen den Welten überquerten. Keiner von ihnen bot Breaca seine Hilfe an, keinen von ihnen durfte sie fragen.
Eine Lebensspanne nach der anderen verstrich. Sie hatte sich nie für unentschlossen gehalten. Geliebter - was würdest du dir denn von mir wünschen?
Doch Caradoc schwieg; Breaca hatte seine
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