Das Schwert der Keltin
Scapula vordringen.«
»Um ihn zu töten«, stellte Breaca tonlos fest.
Airmid atmete langsam aus und dachte nach. Sie nahm sich nur selten Zeit zum Nachdenken, bevor sie in Breacas Gegenwart sprach, und auch nur dann, wenn es um Dinge ging, die ihr Verhältnis zu ihrer Göttin betrafen. Sie sagte: »Letztendlich werden wir ihn töten, ja, aber er darf nicht durch das Schwert sterben. Wenn du immer noch entschlossen bist, dich uns anzuschließen, so musst du schwören, dass du ihm nicht die Kehle durchschneiden wirst. Er muss langsam sterben - sein Tod muss sich über Tage hinziehen, oder der Traum wird zerschmettert und Caradoc stirbt durch einen Erlass des Kaisers in Rom.«
Caradoc. Gekreuzigt. Cunomar, das Kind der See mit dem weichen Haar … Breaca grub ihre Finger in den verrottenden Baumstumpf und wartete, bis sich die plötzlich aufsteigende Übelkeit allmählich wieder verflüchtigte. Ein schwacher, unbeugsamer Teil von ihr klammerte sich verzweifelt an diese Worte, hielt sie eisern fest. Als sie schließlich wieder sprechen konnte, fragte Breaca: »Und wenn ich Scapula nun nicht töte und der Traum nicht zerbricht, besteht dann die Chance, dass Caradoc und die Kinder überleben?«
Airmid nickte. »Ich denke, diese Chance besteht. Zwar kann man nichts mit Sicherheit sagen, und diese Voraussage ist noch vager als all die anderen, aber... ja, ich denke, genau das ist es, was die Götter mich haben erspähen lassen.«
Es war zwar nur das kleinste Etwas von einem Strohhalm in jenem wirbelnden Strom, der Breaca in die Tiefe zu reißen drohte, doch sie klammerte sich daran fest, als ob er bereits das sichere Land wäre. Nach einem Moment erwiderte sie: »In Ordnung. Allein schon um dieser vagen Chance willen schwöre ich, dass ich Scapula nicht töten werde. Aber ich werde mit dir kommen. Kein Risiko ist so groß, als dass man dafür den Traum entschlüpfen lassen dürfte.«
»Du musst die ältere Großmutter herbeibeschwören oder ihr zumindest so nahe kommen, wie du nur irgend kannst.«
Heiß loderte das frisch aufgeschichtete Feuer aus getrocknetem Eibenholz und zarten Rotdornzweigen, an denen sogar noch die Beeren hingen. Der kleine See hinter dem Wasserfall griff das Licht der Flammen auf und warf es - scheinbar noch heller - wieder zurück. Zwischen Feuer und Wasser stehend, bildeten drei Träumer - Airmid, Luain mac Calma und Efnís von den Eceni - ein Dreieck. Zu ihren Füßen zeichneten sie das Symbol des alten und des neuen Mondes auf den Erdboden. In der Mitte des Dreiecks stand Breaca - plötzlich fühlte sie sich wieder wie ein Kind, klein und ganz aufgeregt ob der Dinge, die da kommen mochten. Verborgen in der Dunkelheit hinter ihnen warteten Ardacos und vier seiner Bärinnen. Den Färberwaid hatten sie sich zwischenzeitlich wieder abgewaschen und rochen nun nur noch nach Bärenfett und weißer Kalkfarbe.
»Die ältere Großmutter«, sagte Airmid abermals. » Unsere ältere Großmutter. Die erste und die beste. Du musst sie zu dir rufen und alles, was sie dir zu geben bereit ist, annehmen.«
»Ich kann mich aber nicht mehr an sie erinnern.« Nun fühlte sich Breaca wieder vollends wie ein Kind, doch alle ihre Erinnerungen waren verschwommen und sprachen lediglich von Krieg und Verlust. Ihr war zumute, als habe ihre Kindheit in einer ganz anderen Welt stattgefunden, als sei sie nicht von ihr selbst, sondern von einer Fremden durchlebt worden und als existiere sie lediglich noch in den Liedern des Stammes. Die ältere Großmutter war in der letzten von Breacas drei langen Nächten in der Einsamkeit gestorben. In jener letzten Nacht, bevor sie zur Frau geworden war. Damals hatte Breaca den Heimgang der alten Frau als die größtmögliche Katastrophe auf Erden empfunden. »Ich kann mich noch nicht einmal mehr an ihre Augenfarbe erinnern.«
»Zu der Zeit, als du sie kanntest, waren sie schon weiß«, erklärte Airmid ihr. »Sie war blind, und ihre Pupillen waren weit geöffnet und in der Mitte weißlich verfärbt. Der Rand der Pupillen war schwarz. Jetzt jedoch wird sie anders aussehen. Du musst sie zu dir rufen, du warst schließlich ihre letzte Vision. Hast du noch die steinerne Speerspitze, die du damals in deinen langen Nächten in der Einsamkeit benutzt hast, um die Kampfadler zu töten?«
»Ja.« Breaca entleerte den Inhalt ihres Gürtelsäckchens in ihre Hand, die bunt zusammengewürfelten Schätze ihrer Vergangenheit: Cunobelins Siegelring, den er Breaca einst mit dem Schwur, sie
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