Das Schwert der Keltin
Britanniens. Agrippina war somit - in jeglicher Hinsicht - die Verkörperung der römischen Frau schlechthin, ein Wesen von gezierter und gekünstelter Schönheit, das durch die Grausamkeit seiner Intrigen und nicht zuletzt natürlich durch ihren Ehemann zu unermesslicher Macht gelangt war. Sie war so verschieden von Breaca, wie die veredelten und sorgfältig beschnittenen Blumen im kaiserlichen Garten sich von den Eichen und Weißdornbüschen eines unberührten britannischen Waldes unterschieden. Es war unmöglich, sich vorzustellen, dass beide Frauen lediglich aus Fleisch und Blut bestanden. Caradoc jedenfalls, der sich in diesem Augenblick gerade tief vor Agrippina verneigte, versuchte es gar nicht erst.
Die Augen der Kaiserin waren türkisgrün, und sie hielten den Blick eines Mannes so lange gefangen, bis sich die Erde einmal um ihre eigene Achse gedreht hatte, und sogar noch länger. Caradoc verneigte sich gleich noch einmal - nicht zuletzt deshalb, um seinen Blick von ihr abwenden zu können, ohne beleidigend zu sein. Wäre er an Claudius’ Stelle gewesen und hätte sich diese Prozession täglich ansehen müssen, so hätte wohl auch er sich angewöhnt, die Kaiserin nur noch flüchtig und indirekt anzublicken. Nero, dessen Augen zwar nur eine blassere Kopie derer seiner Mutter waren, dem aber nichtsdestotrotz ebenfalls die Ehre eines offiziellen Auftritts hätte gewährt werden müssen, war gezwungen, einen Schritt zur Seite zu treten, um den Leibwächtern seiner Mutter Platz zu machen.
Dann, nur eine Speerlänge von der Tür entfernt, blieb die Prozession stehen. Fest und unverwandt ließ die Kaiserin ihren Blick zunächst über Cunomar und anschließend über Caradoc schweifen. »Da ist er also, der Barbar, der sich so zärtlich um seine Kinder sorgt. Wie wundervoll.«
Die Kaiserin lächelte - eine einstudierte Geste ihrer geschminkten Lippen -, und in vollkommener und augenscheinlich geistesabwesender Imitation grinste auch der Kaiser. Sein Lächeln hätte also ein bloßer Reflex sein können, das unverblümte Zutagetreten des inneren Hanswursts, der sich gerade im Abglanz seiner Herrin sonnt. Doch dann sah Claudius kurz zur Seite, und für einen Moment verschmolz der Blick des Kaisers zu Caradocs Entsetzen mit dem seinen, und in diesem einen Blick lag die Bestätigung sämtlicher Gerüchte, die man sich auf Mona erzählte: Der Kaiser könne seiner Frau nichts abschlagen, noch nicht einmal die kleinste Bitte, solange diese nicht eine entscheidende, unsichtbare Grenze übertrat. Dann allerdings würde er sie, wie auch schon ihre Vorgängerin, töten lassen. Die Ermordung seines einzigen Sohnes konnte möglicherweise diese Grenze sein; vielleicht wusste Agrippina dies sogar. Caradoc blickte noch einmal zu Britannicus hinüber und entdeckte das verzerrte Grinsen der Angst, das seinen Mund noch breiter auseinander zog als den seines Vaters. Auch der Junge wusste also, aus welcher Richtung ihm Gefahr drohte.
»Ist es denn wirklich nötig, ihn so in Ketten zu legen? Wir haben doch schließlich seine Frau und seine Tochter. Da wird er uns doch nichts antun, nicht wahr?«
Agrippina sprach diese Worte auf das Liebreizendste, neigte dabei sogar den Kopf ein wenig, und ihre Augen erstrahlten in unschuldigstem Charme. Dann aber blinzelte sie einmal mit ihren dick mit Tusche bemalten Lidern und warnte Caradoc damit quasi, sie nicht eines Besseren zu belehren, sondern sich vor den Wachen und dem Kaiser als der Freiheit würdig zu erweisen.
Claudius, der immer noch grinste, nickte, und sogleich machte jener Soldat der berittenen Garde, der Caradoc am nächsten stand, Anstalten, ihm die Ketten abzunehmen - Caradoc jedoch trat rasch einen Schritt zurück und entzog sich so seinem Zugriff.
»Besser nicht«, sagte er, »es ist besser, die Ketten bleiben dort, wo sie sind, Eure Majestät. In solch betörender Gesellschaft könnte ich sonst nur allzu leicht die Umstände vergessen, die mich hierher brachten.«
Der Kavalleriesoldat hielt mitten in der Bewegung inne und erwartete seinen Befehl. Für einen Augenblick schien das Lächeln der Kaiserin einzufrieren, dann aber blühte es, voller Verständnis und leicht amüsiert, tröstend und mit dem scheinbaren Versprechen auf Freiheit wieder auf. Claudius’ Lächeln dagegen verblasste. Er blickte Caradoc plötzlich sehr nachdenklich an.
»Das hätte ja auch nicht so sein müssen«, ergriff Agrippina schließlich wieder das Wort. »Hättet Ihr nicht Eure Waffen gegen uns
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