Das Schwert der Keltin
denken.«
»Aber es kann gut sein, dass Scapula das denkt, wenn er stirbt.«
In diesem Augenblick war Caradoc nicht ganz er selbst gewesen, hatte Worte ausgesprochen, die gar nicht seine eigenen waren. Er spürte, wie ihn seine Götter in der daraufhin plötzlich einsetzenden Stille endgültig verließen, empfand ein Gefühl, als ob ihm eine Klinge, die sich gerade erst in sein Fleisch gegraben hatte, wieder herausgerissen würde. Caradoc hatte sich wirklich nicht für einen so unbedachten Schwätzer gehalten, geschweige denn geahnt, dass seine Götter seinen Tod offenbar so dringend wünschten. Schließlich hob er den Blick wieder und sah in die Augen der Kaiserin, in der Befürchtung, das Werk eines ganzen Morgens zerstört, das sorgsame Gewebe aus Vorsicht und Höflichkeit zerrissen zu sehen. Von dem Wohlwollen und der Gnade dieser Frau hing das Leben seiner beiden Kinder ab. Und Caradoc wünschte verzweifelt, dass keines dieser beiden Leben zerstört werden möge.
»Eure Majestät, vergebt mir, ich …« Eure Majestät, vergebt mir, was ich da gerade eben gesagt habe, war wirklich völlig unpassend. Das letzte Mal, als ich Scapula sah, ritt er sein Pferd über das Schlachtfeld, auf dem er gerade gesiegt hatte. Und sollte er tot sein, dann wissen das höchstens die Götter, aber nicht ich.
Caradoc sprach diese Worte jedoch nicht aus, denn niemand beachtete ihn mehr. Agrippinas harter Blick hatte sich auf etwas hinter Caradocs Rücken geheftet, und auch Claudius schien seine, Caradocs, Gegenwart offenbar vergessen zu haben. Stattdessen hatte sich der Kaiser zur Tür umgewandt, forschte dort mit suchendem Blick nach etwas, gleich einem Blinden im Winter, der die Wärme der Sonne suchte.
»Eure Hoheit...«
Caradoc drehte sich um. Zwischen den Wachen stand der in die Jahre gekommene Callon, Vater von Narcissus, dem eleganten und gebildeten ehemaligen Sklaven, der anstelle seines Herrn, des Kaisers, dessen Imperium verwaltete. Agrippinas perfekt geschwungene und geschminkte Lippen verzogen sich in unverhohlener Abscheu. An Claudius’ Hof war die Feindschaft zwischen der Kaiserin und denjenigen unter den Sekretären, deren Loyalität ausschließlich beim Kaiser lag, bereits legendär.
Callon ignorierte Agrippina, machte dem Kaiser abermals ein Zeichen und wurde schließlich hereingebeten. Eilig beugte er sich vor und flüsterte seinem Kaiser etwas ins Ohr. Claudius’ Lächeln erstarb. Für einen langen Augenblick schien es, als würde er gar in Ohnmacht fallen, dann jedoch wandte er sich seiner Kaiserin und ihrem Sohn zu.
»Ihr werdet uns jetzt verlassen.«
Giftig und mit kalten Augen starrte sie Claudius an. Ein angespanntes Schweigen breitete sich aus. Nach einer Weile schließlich nickte sie. »Was immer mein Herr befiehlt.« Mit vollendeter Würde bedeutete sie ihrem Sohn, ihr zu folgen, und verließ schließlich den Raum.
Mit ernster Miene ging Claudius zurück in seinen Garten - sein Schatz und sein Zufluchtsort zugleich. »Ihr kommt mit mir«, befahl er und umschloss mit einer einzigen Armbewegung all jene, die noch anwesend waren.
XXI
»Scapula ist tot.«
Narcissus, Sohn des Callon und einer der freigelassenen Sklaven des Kaisers, war höchst erregt, in einem Zustand, der schon fast an Hysterie grenzte. Er hatte sich mitten im Türrahmen der Gefangenenzelle postiert, rechts und links von ihm je ein Soldat der berittenen Garde und zwei Prätorianer. Am Abend zuvor war er Dubornos noch als weltmännisch und beinahe allmächtig erschienen. Narcissus, ein Mann von mittlerer Größe und mittlerem Gewicht, mit dunklem, exakt geschnittenem Haar und kräftigen Augenbrauen, hatte sowohl die Wachen als auch den Arzt befehligt, hatte die Verbände und die Kleidung zur Verfügung gestellt, Essen und Wein, hatte genauso flüssig Griechisch wie auch Latein gesprochen und sogar einige solide Grundkenntnisse im Gallischen bewiesen. Alles in allem eilte ihm der Ruf voraus, Claudius’ meistgeschätzter Berater zu sein und damit jener Mann, der einst die meuternden Legionstruppen dazu hatte bewegen können, doch noch an Bord der Schiffe nach Britannien zu gehen und dort endlich die bereits mehrmals verschobene Invasion einzuleiten. Später, lange nach diesem Ereignis, erzählte man sich auf Mona das Gerücht, dass im Grunde sogar die gesamte Eroberung Britanniens allein Narcissus’ Plan gewesen sei, der damit die Macht seines Herrn - und gleichzeitig seine eigene Stellung - festigen wollte.
Das Tageslicht
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