Das Schwert der Keltin
hören, und laut wurde die Parole der Nachtwache genannt: Britannicus , der Name des Kaisers und seines einzigen legitimen Sohnes, endgültiger Beweis der Machtübernahme über Britannien.
In etwas weiterer Entfernung hörte man Roms Frühaufsteher, oder vielleicht auch die letzten der sich nach Hause schleppenden Trunkenbolde, wie sie einander noch etwas über die Straße hinweg zuriefen. Dann grölten einige Männer Obszönitäten, ihr Opfer stumm und unerkannt, und kurz darauf lachte eine Frau laut auf, aber nur ein einzelner Mann antwortete ihr. Schließlich schlug ein Hund an und mit ihm noch ein Dutzend anderer, doch alle mit deutlich höher tönendem Gekläffe als die Hunde der britannischen Stämme. Die Schatten, die von der einsamen Lampe in der Zelle ausgingen, wurden immer blasser.
Caradoc hatte die ganze Nacht über nicht geschlafen. Nun hob er das Kinn, reckte sich vorsichtig, wobei er sorgsam darauf achtete, nicht seine verletzte Schulter zu belasten, und ließ am Ende jedes Einzelne seiner Gelenke einmal laut knacken. Dann rückte er auf der Pritsche ein wenig zur Seite, sowohl um Dubornos besser sehen zu können, als auch, um selbst besser gesehen zu werden. Hart streifte das Licht des neuen Tages über sein Gesicht, betonte die aschgraue Blässe seiner Haut, Zeugnis des Hungers und der Erschöpfung. Die Nacht war freundlicher zu ihm gewesen. Allein seine Augen brannten noch so klar wie immer. Überhaupt war es ganz unmöglich, sich Caradocs Augen ohne den Glanz des Lebens vorzustellen.
»Breaca wird den Krieg weiterführen«, hob Dubornos abermals an. »Die Träumer Monas stehen geschlossen hinter ihr, und hinter den Träumern stehen die Götter. Das ist alles, worum es jetzt noch geht.« Nun, am Ende, konnte er Breacas Namen wieder ganz normal aussprechen, ohne sich oder Caradoc damit zu quälen.
Als er ihren Namen hörte, musste Caradoc plötzlich lächeln. »Ich weiß. Aber noch hat uns das Leben ja nicht verlassen.« Dann wandte er sein Gesicht wieder dem Fenster zu. Das farblose Licht ließ sein Haar zu dem Weiß des hohen Alters erbleichen. Nun, im Profil, wirkte Caradoc auch nicht mehr erschöpft, sondern eher asketisch. Die Risse in seiner Tunika waren geflickt worden, und an seiner Schulter schimmerte noch immer die Schlangenspeerbrosche, das Sinnbild des Widerstands über den Tod hinaus. »Fürchtest du dich vor dem heutigen Tag?«, fragte er.
»Nein. Nicht mehr.«
»Dann wurde uns alles geschenkt, worum ein Mensch überhaupt bitten kann. Wir durften uns ganz bewusst auf unseren Tod vorbereiten und werden an der Art und Weise, wie wir ihm gegenübertreten, ein letztes Mal gemessen. Der Rest ist unwichtig. Später, wenn alles vorüber ist, werden die Götter kommen und uns holen.«
»Bist du dir da so sicher? Die Geister der römischen Soldaten nämlich wandern noch immer allein und ohne ihre Götter durch unser Land. Warum also sollte es uns in ihrem Lande nicht genauso ergehen?«
Von der Tür her antwortete plötzlich eine trockene Stimme: »Weil sie niemanden hatten, der auf sie wartete und ihre Seelen wieder in die Obhut ihrer Götter überführte. Eure Träumer dagegen werden wissen, wie sie eure Seelen zu führen haben und wann der Zeitpunkt dafür gekommen ist. Das ist eine Gabe, die in Rom zum Großteil in Vergessenheit geraten ist. Hier ehrt man die Götter für ihre Fähigkeit, den Lebenden zu Macht und Reichtum zu verhelfen, nicht aber für ihre Sorge um die Toten.«
»Xenophon.« Hocherfreut und genauso galant, wie er sich erhoben hätte, wenn Maroc oder Airmid eingetreten wären, stand Caradoc auf, um Xenophon zu begrüßen. »Ich hatte nicht erwartet, Euch noch einmal zu sehen. Denn Eure Arbeit hier ist doch getan, nicht wahr? Schließlich leben wir noch, sind nicht an Blutvergiftung oder an gebrochenen Knochen gestorben - und werden auch so lange bei bester Gesundheit bleiben, bis der Kaiser es sich anders überlegt. Und dann, so fürchte ich, wäre Euer Eingreifen ohnehin nicht mehr klug, geschweige denn von Erfolg gekrönt - egal, wie berühmt die Lehrer auf Kos auch sein mögen.«
Ganz beiläufig hatte Caradoc diese Bemerkung klingen lassen, Xenophon aber blieb ernst. Der Leibarzt des Kaisers war kein Mann für Trivialitäten. Mit langen, knochigen Fingern strich er seinen Nasenrücken entlang. »Auf Kos werden viele Dinge gelehrt«, entgegnete er. »Und nicht alle beschäftigen sich damit, Leben zu retten.«
Nun trat Xenophon über die Türschwelle und in den
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