Das Schwert der Keltin
leichtem Herzen jenem Mann zu, den er mittlerweile mehr schätzte und bewunderte als jeden anderen. »Caradoc?«
Caradoc hatte sich wieder auf der Pritsche niedergelassen. Das immer heller durch das Fenster hereinströmende Licht ließ sein Haar wie gesponnenes Gold erstrahlen. Seine Miene war vollkommen unbewegt, sein Gesicht wie aus Marmor gemeißelt und kreideweiß. Er starrte auf das entrollte Weinblatt, so wie ein Mann vielleicht eine Giftschlange anstarren würde, die jederzeit zuschlagen konnte, und seine flache Atmung verriet den Kampf in seinem Inneren. Schließlich hob er den Blick von der Hand voll Pulver und wandte sich Xenophon zu: »Kann man das Opium aus der Mischung herausnehmen?«
»Kaum. Ich habe die Zutaten eigenhändig gemahlen und miteinander vermischt. Selbst die Diener des Schakalgottes Anubis - und diese können sogar die einzelnen Sandsorten der Wüste voneinander unterscheiden - vermöchten das nun nicht mehr.«
»Dann, nein. Danke, aber nein. Dubornos soll das Mittel nehmen - muss es nehmen -, aber ich kann nicht.«
»Ist das Euer Ernst?« Aufmerksam beobachtete Xenophon Caradoc. »Habt Ihr etwa ein besonderes Verlangen danach, solche unermesslichen Qualen zu erleben? Ich hätte nicht vermutet, dass auch Ihr mit den römischen Lastern infiziert seid.«
Caradoc lachte einmal auf; ein kurzes, bellendes Lachen wie von einem vollkommen fremden Menschen. »Nein, ganz sicher nicht. Um sich solche Laster zuzulegen, bräuchte man, glaube ich, länger als bloß einen Monat.«
»Aber warum dann nicht das Opium?«
»Weil die Abmachung noch nicht erfüllt ist. Ich muss zumindest bei klarem Verstand sein, und das muss man mir auch ansehen. Wenn ich aber das Opium nehme, bin ich nicht mehr ganz bei mir.«
»Bei allen Göttern!« Xenophon faltete seine langen Glieder zusammen und setzte sich - einer Grille ähnelnd - auf Dubornos’ Pritsche. In den Tagen, in denen sie Xenophon kennen gelernt hatten, hatte er stets barsch und hart gewirkt, und Caradoc und Dubornos hatten ihn für einen knochentrockenen Rationalisten gehalten. Hier und jetzt aber, an jenem gewissen Unterton in seiner Stimme und an den sich in seinen Augenwinkeln sammelnden Tränen, die er nun nicht mehr zurückdrängen konnte und derer er sich offenbar auch nicht schämte, erkannten sie das wahre Ausmaß seiner Fürsorge.
Xenophon beugte sich vor und nahm eine von Caradocs Händen in die seinen. »Mein lieber Freund, Ihr besitzt mehr Mut als jeder andere Mann, den ich je kennen gelernt habe. Aber auch Ihr müsst lernen, spätestens jetzt, eine Niederlage hinzunehmen.«
Xenophon deutete mit dem Kinn zu der gegenüberliegenden Wand hinüber, wo das Sonnenlicht sich zitronengelb über den Verputz ergoss. »Noch ehe die Sonne die äußere Kante dieses Fensters erreicht, werden sie kommen, um Euch zu holen. So lange habt Ihr also noch Zeit zu trinken, nicht länger. Und jetzt kann ich den Zenturio auch nicht mehr rechtzeitig erreichen, um den Plan noch einmal zu ändern. Er wird seinen Teil unserer Abmachung erfüllen - und das sind Dinge, die ich bestimmt nicht jedem wünsche. Also, ich bitte Euch inständig, um Eurer selbst und um Eurer Freunde willen, nehmt an, was ich Euch anbiete.«
»Nein.« Es war einfacher, ein zweites Mal »nein« zu sagen, als sich nun alles noch einmal zu überlegen; das wussten sie beide.
» Warum?«
» Weil ich selbst jetzt, wo ich verloren habe - und dessen bin ich mir wohl bewusst - noch immer die Verantwortung für Cwmfen und die Kinder trage. Wir haben noch nicht die entscheidende Nachricht von Mona erhalten, in der sie garantieren, den Kaiser nicht zu töten. Und bis dahin hängt ihr Leben einzig und allein an der Erfüllung meines Teils der Abmachung mit Claudius. Ich habe geschworen, nichts zu unternehmen, was seine Pläne für den heutigen Tag vereiteln könnte. Wenn ich aber tue, was Ihr mir da vorschlagt, dann breche ich meinen Schwur - zumindest in gewissem Sinne.«
»Aber glaubt Ihr denn, dass Claudius auch nur ein einziges seiner Versprechen mit einer ebensolchen Korrektheit einhalten wird?«
»Ich weiß es nicht. Aber wenn er glaubt, dass man ihn um seine gerechte Rache gebracht hat, wird er seinen Teil der Abmachung bestimmt nicht erfüllen. Und diesen Vorwand will ich ihm einfach nicht liefern.«
Neun lange Jahre, bei den Kriegsvorbereitungen, inmitten von Schlachtfeldern und während des bewaffneten Widerstands, hatte Dubornos nun schon Gelegenheit gehabt, die Kraft und das Ausmaß
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