Das Schwert der Keltin
von Caradocs Willenskraft kennen zu lernen - noch niemals zuvor aber war dessen geradezu unbezwingbare Stärke so klar zu Tage getreten. Schweigend starrte Dubornos auf die beiden kleinen Fläschchen und die Hand voll jenes Pulvers, das über die Art und Weise seines Todes bestimmen würde.
Morgen um diese Zeit, oder vielleicht auch erst übermorgen, wird alles vorbei sein.
Ohne das Pulver aber wohl erst übermorgen; besonders, wenn der Zenturio wirklich so zuverlässig war, wie Xenophon glaubte. Gerade dieser entscheidende Unterschied aber würde sich grausamer auswirken, als Dubornos sich jemals hätte träumen lassen. Mit aus tiefstem Herzen empfundenem Bedauern rollte er die Weinblätter wieder zusammen, umwickelte ihre Enden langsam mit der Leinenkordel und legte sie schließlich auf den Knien des alten Mannes ab.
Xenophon durchbohrte Dubornos geradezu mit seinem Blick. »Aber mit Euch hat Claudius doch gar keine Abmachung.«
»Nein. Ich habe lediglich eine Abmachung mit mir selbst. Und mit Caradoc.«
Caradoc zuckte zusammen, und eine flammende Röte kroch in seine Wangen. »Dubornos, du wirst doch wohl nicht...«
»Doch, ich werde. Und es liegt auch nicht mehr in deiner Macht, mich davon abzuhalten. Versuch es also gar nicht erst.«
Dubornos war selbst ein wenig überrascht von seiner plötzlichen Entschlossenheit. All die kleinen und großen Verfehlungen in seinem Leben verschmolzen plötzlich zu dieser einen, letzten, wirklich großen Tat. Dann erstrahlte sein Gesicht in einem breiten und aus seinem tiefsten Inneren kommenden Lächeln. »Auch ich habe mein Leben dem Wohlergehen der Kinder gewidmet«, fügte er hinzu.
Xenophon erhob sich, seine Nasenflügel weiß und zusammengekniffen. »Ihr seid wahnsinnig, alle beide - und das ist sowohl eine ärztliche Diagnose als auch meine persönliche Meinung. Ich selbst habe zwar keine Götter, aber ich werde zu den euren beten und um einen raschen Tod für euch bitten.«
Ganz nach römischer Art streckte Caradoc ihm die Hand zum Abschiedsgruß hin. »Unseren zutiefst empfundenen Dank für alles, was Ihr für uns getan habt. Und nur, weil wir Euer Angebot nicht annehmen können, wird das Risiko, das Ihr heute auf Euch genommen habt, ja nicht kleiner. Wenn wir uns dafür also nur irgendwie erkenntlich zeigen könnten, würden wir es ganz sicher tun.«
Der alte Mann zögerte einen kurzen Augenblick. »Würdet ihr dann vielleicht um meinetwillen noch einen Besucher empfangen?«
Dubornos spürte, wie sich die Härchen in seinem Nacken aufstellten. Seine Götter mochten ihn ja vielleicht verlassen haben, aber er besaß noch immer die Fähigkeit, die Gedanken anderer Menschen lesen zu können. Voller Panik rief er: »Xenophon, nein! Jetzt nicht mehr. Habt Ihr denn überhaupt kein Herz?«
»Ganz im Gegenteil«, antwortete ihm deutlich vernehmbar jene Stimme, die er schon sein halbes Leben lang bloß noch in der Erinnerung gehört hatte. »Er hofft inständig, dass es nun noch zu einer tränenreichen Wiedervereinigung kommt. Das ist eben der Fehler an den griechischen Ärzten; sie glauben, sie hätten die Macht und das Recht, am Schicksal der Menschen herumzudoktern.«
Die Zeit blieb stehen. In der Welt jenseits des Fensters nahm gerade eine Taube ein Bad in einem Springbrunnen. Wasser spritzte in kleinen Tröpfchen gegen die Außenmauer der Zelle.
Ganz langsam wandte Caradoc sich um. Für vier Personen war die Gefangenenzelle nun wirklich nicht gebaut. Unmittelbar vor der Türschwelle stand Julius Valerius, Dekurio der ersten Schwadron der Ersten Thrakischen Kavallerie und, nach Scapula, der meistgehasste Offizier der gesamten britannischen Invasionsarmee. Er trug die komplette Gardeuniform, sein Harnisch so makellos poliert, dass er wie Fischschuppen glänzte, sein Umhang von dem Schwarz der Thraker. Auch sein Schwert und der Gürtel waren mit ihren eingravierten römischen Heldendarstellungen ganz im Stile der Kavallerie gefertigt. Jeder, der ihn so sah, hätte ihn für einen waschechten Römer gehalten. Einzig die kleine Tätowierung an seiner Schulter, nach der Art der Vorfahren in Ochsenblutrot und vor einem grauen Hintergrund gezeichnet, wies ihn als noch jemand anderen aus; dies und der suchende dunkle Blick, das Abbild jener Augen, die Caradoc und Dubornos einst neun Jahre lang tagtäglich auf Mona gesehen hatten.
Plötzlich war in der kleinen Zelle zu wenig Sauerstoff, oder auch zu viel; in jedem Fall aber brachte der Druck die Lungen beinahe zum
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