Das Schwert der Keltin
lassen.
»Haltet ein vor eurem Kaiser! Seine Majestät Tiberius Claudius Drusus Nero Germanicus Britannicus befiehlt es!«
Sobald die Worte verhallt waren, hielten die Pferde an. Mit einer ohrenbetäubenden Fanfare erschallten jetzt die Hörner der Legionssoldaten. Julius Valerius, der sich selbst zermarternde römische Offizier, befand sich nun Auge in Auge mit seinem Kaiser.
Auf so kurze Entfernung waren die krampfartigen Reflexe des Kaisers klar zu erkennen. Claudius stand auf seinem Podest, und seine Tunika glühte geradezu in dem strahlenden Licht. Die erhobenen Handflächen, die auf den Saum seiner Tunika gestickt worden waren, bewegten sich, als ob sie lebendig wären. Claudius hätte leicht der alleinige Mittelpunkt ihrer aller Aufmerksamkeit sein können, doch auch Agrippina beugte sich nun vor. Selbst im Sitzen besaß sie noch eine königliche Aura. Kein geistig gesunder Mensch konnte sich vorstellen, dass diese Frau sich einst als Sklavin und mit Perlentauchen ihren Lebensunterhalt verdienen musste. Agrippina musterte die beiden Gefangenen auf dem Wagen mit einer Miene, mit der ein Koch auf dem Markt frisch angelieferten Fisch begutachten mochte. Endlich, nach einer ganzen Weile, wanderte ihr Blick suchend zu Valerius hinüber.
»Einer hat helles Haar, einer rotes und einer schwarzes«, sprach sie in schleppendem Tonfall. »Sie scheinen mir nicht alle vom gleichen Stamm zu sein.«
Auf Lateinisch entgegnete Caradoc. »Verehrte Herrin, das sind wir auch nicht.«
Die perfekt geschwungenen Augenbrauen der Kaiserin hoben sich bis beinahe zu ihrem Haaransatz hinauf. Narcissus zuckte zusammen. Die Menge konnte sie auf diese Entfernung nicht hören. Ihr einziges Publikum waren die fünfzig Senatoren. Diese aber beugten sich plötzlich weit vor. Ganz offenbar besaßen sie jedoch eine bessere Erziehung als die große Masse, denn sie verliehen ihrer Überraschung nicht in einem lauten Aufseufzen Ausdruck, sondern zuckten nur einmal leicht zusammen.
Auch Valerius war gefangen von dem gegenwärtigen Augenblick - allerdings nicht so sehr, als dass er die Gefahr, die nun von seinem Herrn ausging, übersehen hätte. Auf Eceni sagte er warnend: »Vielleicht möchtest du einmal kurz an die Zukunft deiner Kinder denken, ehe du noch einmal auf Lateinisch antwortest. In diesem Augenblick und an diesem Ort nämlich solltest du dir eurer Abmachung nicht mehr ganz so sicher sein.«
Caradoc neigte den Kopf. Er war nicht länger ein Gott; genauso wenig jedoch war er ein eingeschüchterter und geprügelter Gefangener. Sein Gesicht glich einer Maske von verhaltener, gewitzter Würde, und in seinen Augen erstrahlte ein Lachen. Verwirrend schön schaute Agrippina ihn an und erwiderte sein Lächeln.
In der atemlosen Stille, die nun folgte, begann Narcissus von einer Pergamentrolle die lange Liste der Siege des Kaisers über die rebellierenden Stämme von Britannien zu verlesen. Verborgen unter Narcissus’ lärmender Stimme sprach Claudius: »Wir haben Nachricht von euren Träumern erhalten. Sie stimmen unserem Vorschlag nicht zu. Sie werden den Fluch nicht aufheben; auch nicht im Gegenzug für das Leben deiner Frau und deiner Kinder.«
Macha, Eburovic, der Sklavenjunge Iccius - alle Geister - hatten dies bereits geahnt. Erstaunlicherweise nahmen sie die Neuigkeit mit freudiger Erleichterung auf. Cwmfen und Cygfa dagegen - ihr Wagen war ebenfalls in Hörweite von Claudius gezogen worden - wussten offenbar nicht, worum es gerade ging; sie waren auch nicht erleichtert. Vermutlich hatten sie also überhaupt noch nicht von dem Abkommen zwischen Caradoc und dem Kaiser gehört. Aus den Augenwinkeln erspähte Valerius eine rasche Bewegung und wendete gerade noch rechtzeitig den Kopf, um zu sehen, wie Cwmfen, die bis dahin in Stillschweigen verharrt hatte, die Hand plötzlich fest um den Arm ihrer Tochter schloss - über den kaiserlichen Festplatz schallte ein einziges, hartes Wort in einer fremden Sprache, das an den meisten Römern ungehört vorüberhallte. Selbst Valerius brauchte einige Zeit, ehe er begriff, dass dieses ein Wort auf Ordovizisch gewesen war; ein Klang, der ihn unmittelbar an die Schlachtfelder der Eceni unter dem Ansturm der Römer erinnerte: Es war der Befehl zur sofortigen Flucht. Dieser gellende Ruf konnte sich also sowohl an Caradoc als auch an Cygfa gerichtet haben, vielleicht sogar an alle beide.
Allerdings - wenn Caradoc Cwmfens Befehl überhaupt bewusst vernommen hatte, so ließ er es sich jedenfalls nicht
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