Das Schwert der Keltin
Claudius noch einmal. »Das habe ich dich schon einmal gefragt, du aber hast dich geweigert, mir zu antworten. Nun wirst du sprechen. Schließlich hast du unter ihnen gelebt, musst es also wissen.«
Ungeschickt übersetzte Valerius die Worte seines Kaisers. Die daraufhin einsetzende Stille war kaum mehr zu ertragen. Hätte auch nur irgendeine Chance bestanden, zu sterben, ohne Claudius’ Frage zu beantworten, so hätte Caradoc diesen Weg zweifellos allen anderen vorgezogen. Denn von seiner Antwort hing das Leben seiner Familie ab; nur wusste Caradoc nicht, welche Konsequenzen der gottgleiche Kaiser aus den verschiedenen Möglichkeiten ziehen würde. Schließlich entgegnete Caradoc auf Ordovizisch, der Sprache seiner Kindheit: »Natürlich behaupten sie, dass sie das könnten. Ich aber glaube nicht daran.«
Sanft erhoben sich diese Worte in die von goldenem Licht durchflutete Luft und hinterließen ein beinahe greifbares Echo. Augenblicklich wandten sich der Kaiser, seine Gemahlin und die Senatoren - obwohl Letzteren das Schicksal von Caradocs Familie im Grunde vollkommen gleichgültig war - in Erwartung der Übersetzung dem Dekurio der Kavallerie zu. Die Träumer der Eceni vertrauten ruhig darauf, dass Valerius, der einst immerhin Bán gewesen war, Caradocs Worte wahrheitsgetreu übersetzen würde, dass er sich seiner immer noch verbleibenden Pflicht gegenüber einem Stammesgenossen erinnern würde, einer Pflicht, deren Verletzung ihm als Bán undenkbar erschienen wäre, kurz: Sie glaubten, dass Valerius sich in seine Aufgabe der wortgetreuen Übersetzung fügen würde. Sie zwangen ihn also nicht länger durch ihre Magie. Ganz im Gegenteil, sie erlaubten Valerius sogar, einen ersten Blick darauf zu erhaschen, welche Wahlmöglichkeiten er nun in den Händen hielt, ließen ihn sich der Forderungen seines römischen Gottes erinnern; und überhaupt, worum auch immer ihn die Geister seiner Feinde anflehen mochten, er würde ja ohnehin das genaue Gegenteil tun.
In diesem seligen Augenblick der Freiheit und der vollkommenen Geistesgegenwart, geführt von seinem Gott und mit der Verlockung der Rache brennend heiß in seinem Herzen, übersetzte Valerius die beiden Sätze mit folgenden Worten: »Das Sterben des Statthalters Scapula erstreckte sich über zehn Tage, ein jeder davon ein Tag voller Qualen. Nehmt dies als meine Antwort.«
An Caradocs noch immer ruhigem Blick war keinerlei Reaktion zu erkennen. Dubornos dagegen schnaubte so laut, als ob ihm jemand mit der Faust in den Magen geschlagen hätte, und biss sich krampfhaft auf die Zunge. Cygfa, die noch immer kerzengerade neben ihrer Mutter auf dem Wagen stand, stieß in gebrochenem Ordovizisch einen ganzen Schwall von wüsten Beschimpfungen aus. Ängstlich wispernd stoben jetzt selbst die Geister auseinander.
Auch Claudius wandte sich nun wieder seinem Dekurio zu: »Die Nachricht vom Tode unseres Statthalters hattet Ihr mir wohl überbracht - von den genaueren Umständen aber hattet Ihr mir nichts erzählt. Ist es denn also wahr?«
Schwindelig, mit einem Gefühl des Schwebens wie von zu viel Weingenuss oder wie unmittelbar vor einer Schlacht, verneigte sich Valerius. Er wandelte am Rande eines Abgrunds - nun ein einziger Schritt in die falsche Richtung, und ein sehr langsamer Tod war ihm gewiss. »Eure Majestät, es ist wahr«, entgegnete er. »Diejenigen meiner Untergebenen, die mich begleiteten, können es bezeugen. Der Legat der Zwanzigsten Legion hat darüber sogar einen schriftlichen Bericht verfasst. Allerdings hatte ich befohlen, so lange Stillschweigen darüber zu bewahren, bis Ihr oder ein anderer der mir vorgesetzten Kommandeure mich explizit nach den genaueren Umständen des Todes Scapulas gefragt hätte. Ich für meine Person jedoch bin bis heute nicht um Auskunft darüber ersucht worden, und ich denke, auch der Legat sah bislang keinen Anlass, Eure Majestät mit unnötigen Details zu belästigen.«
»Ich verstehe. Darüber werden wir uns zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal unterhalten.« Damit wandte der Kaiser sich wieder zu Caradoc um und fuhr fort: »Noch ehe man mir davon berichtete, wusstest du schon von Scapulas Tod, und jetzt kennst du sogar die genauen Umstände, ehe sie uns öffentlich verkündet wurden. Wie machst du das?«
»In Zeiten der Not lassen die Götter die ihren eben nicht im Stich«, antwortete Dubornos auf Latein, ohne an der Reihe zu sein, und nahm damit sogar jenem Mann das Wort vorweg, der angeblich sein König war.
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