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Das Schwert der Keltin

Das Schwert der Keltin

Titel: Das Schwert der Keltin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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aus seinem Bewusstsein zu verdrängen erwies sich als am schwierigsten, und Julius Valerius musste laut singen, um zu verhindern, dass ihre Worte sich schlangengleich einen Weg in seinen Kopf und sein Herz bahnten. Früher war er längere Zeit in dem festen Glauben gewesen, seine Mutter sei nicht mehr am Leben, sei zusammen mit seinem Vater und seiner Schwester im Kampf gefallen, und allein deswegen hatte er Rom die Treue geschworen. Später dann, als er neben ihrem erst unmittelbar zuvor niedergemetzelten Körper auf dem Invasionsschlachtfeld gestanden hatte, hatte er ihre Seele ins Jenseits hinüberwandern sehen und versucht, ihr dorthin zu folgen. Sie hatte es ihm jedoch verboten und ihn zum Weiterleben verdammt. Vor dem Eingreifen des Gottes war ihr Geist Nacht für Nacht zu ihm zurückgekehrt, um über seine Taten zu Gericht zu sitzen, um ihm höhnisch die vielen verschiedenen ruhmreichen Wege vor Augen zu führen, die er hätte einschlagen können, die großartige Vergangenheit und Zukunft, die er hätte haben können, hätte er nicht beschlossen, für Rom zu kämpfen: Valerius der Träumer, Valerius der Krieger, Valerius, Freund und Vertrauter von Träumern und Kriegern, Seher, Hundeführer, Hasenjäger, Held zahlloser Schlachten. Meistens jedoch brachte seine Mutter ihm leuchtende, lebhafte Bilder von seiner Schwester, die ganz zweifellos noch am Leben war und noch immer kämpfte.
    Tagtäglich hörte er vom Widerstand im Westen und von ihrer Rolle darin.
    Wenn seine tote Mutter ihn schon verachtete, dann fiel es Valerius nicht schwer, sich vorzustellen, mit welch unverfälschtem Hass erst seine Schwester den Mann betrachten würde, zu dem er geworden war. Manchmal, in den finstersten Nächten, gab es Augenblicke, da wünschte er, sie wäre tot und er wäre nicht mehr von den Folgen ihres Fortlebens betroffen - und gleich darauf hasste er sich für diesen Wunsch. Aus dem verzweifelten Bedürfnis heraus, der Existenz der Bodicea zu entfliehen, mehr noch als irgendjemand oder irgendetwas anderem, hatte Julius Valerius sich damals dem Unendlichen Sonnengott dargeboten.
     
    Valerius fuhr fort, laut zu singen, weil er befürchtete, dass stille Gebete allein nicht genügen würden, um die Gespenster der Vergangenheit weiterhin in Schach zu halten. Als er schließlich wieder zu einer gewissen inneren Ruhe zurückgefunden hatte und in der Welt jenseits der anderen, greifbaren um ihn herum nur noch Mithras und den Stier sehen konnte, stieß er sich vorsichtig von dem Eichenpfosten ab und tastete sich weiter den dunklen Korridor entlang. Am anderen Ende fand er schließlich die gesuchte Tür und drückte sie auf.
    Draußen lag Schnee. Julius Valerius hatte wohl gewusst, dass es im Laufe der Nacht schneien würde, das hatte die Kälte ihm gesagt, doch er war überrascht darüber, wie hoch der Schnee lag. Er reichte ihm bis zu den Knien und war von einer verharschten Schicht überzogen, die unter seinem Gewicht knackte.
    Wenn er traumlos geschlafen hätte und frei von quälenden Erinnerungen aufgewacht wäre, hätte die Schönheit der Nacht ihn vor Ehrfurcht verstummen lassen. Die riesige Fläche der Festung und des umliegenden Landes waren unter einem dicken Bärenpelz aus frischem, noch völlig unberührtem Schnee zusammengeführt worden, so dass römisches und Stammesgebiet nun vereint waren. Der Himmel war inzwischen klar, die Wolken hatten sich verzogen, und der Bogen des Gottes spannte sich in reinstem Samtschwarz über die Erde. Unzählige verstreute Sterne reflektierten das matte Licht des Schnees, so dass Julius Valerius auch ohne den Mond die Umrisse der Kasernen deutlich sehen konnte, die sich in alle Richtungen ausdehnten. Am östlichen Horizont kündigte ein schmaler, fingerbreiter Streifen von Grau die Morgendämmerung an. Für einen gewöhnlichen Mann in gewöhnlichen Zeiten wäre dies die ideale Nacht gewesen, um einen Hund herbeizurufen und auf die Jagd zu gehen, um sich mit einem guten Speer mit einer scharfen Klinge zu bewaffnen und den mit krummen Hauern bewehrten einjährigen Keiler aufs Korn zu nehmen, den selbst der beste Fährtenleser der Legion schon den ganzen Sommer über vergeblich aufzuspüren versucht hatte - die ideale Nacht, um das Blut in Wallung zu versetzen und das Herz höher schlagen zu lassen und sich wieder einmal daran zu erinnern, wie schön das Leben sein konnte.
    Wäre Julius Valerius ein paar Jahre jünger gewesen und noch immer verliebt, hätte er vielleicht genau das getan,

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