Das Schwert der Keltin
Münzen vom Fußboden aufzulesen. Darum musste er einen seiner »Mitarbeiter« bitten, sie für ihn aus dem Stroh zu fischen.
Er hatte die Münzen, als sie auf den Boden fielen, nicht gezählt. Der Junge, den er sich für diese Arbeit ausgesucht hatte, war einer der wenigen mit ein bisschen Grips im Kopf, und genau das war wahrscheinlich ein Fehler gewesen, denn der Bursche hielt ihm nun eine ganze Hand voll Kupfer und Silber hin, aber kein Gold. Fortunatus jedoch hatte mit Sicherheit Gold gesehen. Er griff gerade hinter die Theke, um sich seine Rute zu schnappen, als plötzlich wie aus dem Nichts eine Messerklinge auftauchte, einen Moment lang waagerecht in der Luft unter seinem Kinn schwebte und ihm wie ein Rasiermesser in die erste Reihe seiner Wammen schnitt. Fortunatus erstarrte, so erschrocken, dass er noch nicht einmal schwitzen konnte.
»Wie viel für den Jungen?«
Nun erkannte Fortunatus den Dekurio wieder, und zwar an seiner unnatürlich ruhigen Stimme. Der Mann stand unmittelbar hinter seiner Schulter, und mit Leichtigkeit konnte er ihn entweder mit dem Messer oder dem Kavallerieschwert oder mit beiden zusammen einfach aufspießen. Wenn der Vorhang sich überhaupt bewegt hatte, hatte Fortunatus jedenfalls nichts davon bemerkt, doch in jedem Fall war der Offizier nun hier und stellte eine Frage, wie sie auch jeder andere Gast hätte stellen können. Der Junge, um den es ging, war einst sehr schön gewesen. Sein Haar, obwohl matt und verfilzt, war immer noch so blond, dass es schon fast weiß war, und selbst die zusammengezogenen Brauen konnten nicht die außergewöhnlichen blauen Augen des Belgiers verbergen. Jetzt hob er den Blick, denn auch er hatte das Geld des Dekurio gesehen, und tat nun, was er konnte, um sich von seiner besten Seite zu zeigen. Beim schummrigen Licht hätte man ihn vielleicht noch immer als attraktiv bezeichnen können. Fortunatus dachte also über einen Preis nach und veranschlagte dann das Doppelte.
»Zehn Denar?« Das war zwar mehr als der halbe Monatslohn eines Legionssoldaten, aber immer noch weniger, als er dort gerade eben in das Stroh hatte fallen sehen. Fortunatus gab sich alle Mühe, es nicht wie eine Frage klingen zu lassen, doch seine Stimme schalt ihn einen Lügner.
Der Dekurio zischte unangenehm durch die Zähne. Die scharfe Klinge seines Messer rasierte derweil über die Haut an Fortunatus’ Kehlkopf. Die humorlose Stimme fragte noch einmal: »Nicht für den Nachmittag. Um ihn zu behalten. Für den Rest seines Lebens. Wie viel?«
Nun schwitzte Fortunatus aber doch. Ein salzig-heißer kleiner Schweißbach rann ihm in das linke Auge und brannte dort so unangenehm, dass er schon gar nicht mehr denken konnte. Jetzt wanderte auch noch die Messerspitze hinauf, um unter genau jenem Auge innezuhalten. Neben der Messerspitze erschien jedoch auch eine einzelne Goldmünze, das Pendant zu jener, die auf den Boden gefallen war. Vielleicht aber war es auch dieselbe und war daher niemals wirklich auf den Boden geworfen worden. »Das hier gebe ich dir, und du gibst mir dafür den Jungen. Er gehört jetzt mir, von jetzt an bis in alle Ewigkeit. Ist das klar?«
Endlich einmal eine Frage, die Fortunatus beantworten konnte, und das war gut so, denn es kostete ihn seine gesamte Geistesgegenwart, jetzt nicht zu nicken. Dies war jetzt sogar äußerst wichtig, denn das Messer befand sich so dicht unter seinem Auge, dass er sich überhaupt nicht mehr rühren konnte; es sei denn, er wollte das Auge verlieren.
»Absolut klar«, bestätigte er.
»Vielen Dank.« Sofort wurde das Messer wieder fortgezogen. Nun wagte Fortunatus auch wieder zu atmen. »Jeder der Erwachsenen dort in dem Zimmer ist bewaffnet«, sprach die geradezu tödlich klingende Stimme nun weiter. »Für den Fall, dass sie gestört werden sollten, haben sie Anweisung, dich sofort zu töten; ganz ungeachtet der Tatsache, was dann mit ihnen geschieht. Und für den Fall, dass sie versagen sollten, werde eben ich dich aufspüren und Rache nehmen. Und das wird ganz sicherlich kein Genuss für dich werden. Verstehen wir uns?«
»Ja.«
»Gut.« Damit wandte sich der Dekurio zu seiner neuesten Anschaffung um. »Hast du einen Namen?«
Der Bursche war klug genug, um zu verstehen, dass sein gesamtes Leben soeben für immer eine entscheidende Wendung genommen hatte, und dies durch einen Mann, der mit einem Messer herumwirbelte, als ob er einen Menschen töten könnte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Er schüttelte den Kopf.
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