Das Schwert der Keltin
das gar nicht so weit entfernte Messer des Dekurio. Es gab Männer, die einem absolut glaubhaft versichern konnten, dass sie einen töten würden, wenn man ihre Anweisungen nicht befolgte, und im Laufe der vergangenen zehn Jahre hatte Valerius herausgefunden, dass er einer dieser Männer war.
Die Taverne, in die Valerius sie schließlich führte, lag in einer Gasse, die so schmal war, dass auf ihren zertrampelten, mit Hundekot übersäten schlammigen Boden nie das Sonnenlicht fiel. In die Lücke zwischen einer Gerberei und einer Waschstube gezwängt, gab sich der Gasthof schon gar keine Mühe mehr, den Geruch seiner beiden Nachbarn zu verleugnen oder, wie andere es vielleicht noch getan hätten, vorzugeben, dass der Stoffbezug an den Wänden ganz gewiss keine Feuerfalle war oder dass in den Betten normalerweise keine Läuse gefunden würden.
Der Eigentümer war ein Mann von ungewisser Abstammung, der sich - nicht ohne eine gebührende Portion Ironie - Fortunatus nannte. Im Laufe der Jahre hatte Fortunatus die Kunst erlernt, sich nur äußerst schlecht an seine Gäste zu erinnern. Kaum einmal blieb ihm das Gesicht eines Kunden in Erinnerung, und wenn, dann mussten die Begleitumstände, die mit dem Besuch dieses Gastes einhergingen, schon außergewöhnlich gewesen sein. Bisher hatte Fortunatus erst ein einziges Mal den Gastgeber für einen jungen Kavallerieoffizier gespielt; und das schien auch eher ein Zufall gewesen zu sein, herbeigerufen durch die verschlungenen Pfade eines Mannes, der sich, auf der Suche nach sich selbst, in den Gassen verlaufen hatte und bei ihm eingekehrt war, um auf der Suche nach Vergessen und - vielleicht - sogar Reue Wein bei ihm zu trinken. Noch vor allen anderen Gründen aber hatte ihn die absolute Anonymität hierher geführt. Der nun hier eintretende Offizier war älter und von höherem Rang, und selbst wenn die Schwärze seines Haares und die Feinheit seiner Gesichtszüge noch genauso beeindruckend waren wie einst, so brannte das Feuer, das seine Seele nährte, nun doch noch umso lodernder. Als der Inhaber Valerius jetzt in der Tür stehen sah, stieg ihm der Geruch der Gefahr ebenso unverkennbar in die Nase wie seinen Gästen der Gestank von abgestandenem Urin und verfaulenden Häuten - und er hasste ihn sogleich mit derselben Inbrunst.
»Wir brauchen ein Zimmer von jetzt bis zum Einbruch der Dämmerung.«
Die Stimme des Dekurio war ruhig und fest und duldete keinen Widerspruch. Die Münzen, die der römische Offizier daraufhin aus der hohlen Hand auf den mit schmutzigem Stroh ausgelegten Boden fallen ließ, waren mehr wert als die Herberge und ihr halbes Dutzend junger männlicher Huren zusammengenommen. Seine rechte Hand, die locker auf dem Heft seines Dolches lag, machte dem Wirt klar, welche Alternativen ihm blieben. Fortunatus aber hatte sich eine ganz außergewöhnliche Fettleibigkeit zugelegt, zum Teil durchaus als Schutz gegen die Messer der Kunden, und nur eine Waffe mit einer sehr langen Klinge konnte nun noch irgendeines der lebenswichtigen Organe erreichen, die sicher verborgen unter diversen Schichten Speck lagen. Er überlegte gerade ganz gemächlich, was er tun sollte, als der Dekurio eine seiner schmalen Brauen hob und die Hand zu seinem Kavallerieschwert hinübergleiten ließ, das nun eindeutig lang genug aussah, um sich mit Leichtigkeit durch ein Pferd hindurchzubohren und außerdem noch den dahinter stehenden Mann aufspießen zu können. Und so deutete Fortunatus mit dem Kinn auf einen mit einem Vorhang verhüllten Durchgang. Zu dieser Tageszeit war sein einer Raum immer frei.
Das Lächeln des Offiziers war charmant und zugleich bar jeglicher Freundlichkeit. »Wir sind gar nicht hier. Du hast uns weder gehört noch gesehen. Wenn dir dein Leben lieb ist, wirst du das immer schön in Erinnerung behalten, so wie auch der Rest deines … Personals. Außerdem wirst du uns Käse, Brot und Oliven bringen, die frisch genug sind, dass man sie noch essen kann, und einen Krug mit verwässertem Wein, den auch ein Kind unbesorgt trinken kann.«
Der Mann hatte eindeutig keinen Sinn für Humor, denn kein anderer hätte Letzteres sagen können, ohne dabei auch nur eine Miene zu verziehen. Fortunatus’ Nicken ging über in ein schüttellähmungsähnliches Auf- und Abwippen des Kopfes. Erst als der Vorhang hinter der Frau mit dem Säugling wieder zugefallen war, fiel ihm wieder ein, dass sein Leibesumfang so gewaltig war, dass er sich noch nicht einmal bücken konnte, um die
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